Susanne Barden 01 Hinaus ins Leben
Gewalt zu einem Stuhl hin. Zu Susys Überraschung setzte sich Frau Pasquale ohne Widerstreben hin.
»Sie hört nur auf Schwester Waring und auf Schwester Weiss«, sagte eine Patientin zu Susy. »Da hat man Ihnen was Schönes aufgehalst.«
Frau Pasquale trug zwei dicke Zöpfe, die mit einem zerschlissenen roten Band zusammengebunden waren. Susy nahm das Band ab und legte es sorgsam auf den Nachttisch. Dann machte sie die Zöpfe auf und kämmte die krausen schwarzen Haare, so sanft es ging. Aber ihre Hände zitterten. Die bösen Blicke, die Frau Pasquale ihr zuwarf,
machten sie unsicher.
Nach einer Weile hatte sie die Hälfte der Haare gekämmt und wieder zu einem Zopf zusammengeflochten. Gerade wollte sie mit der anderen Seite beginnen, als Frau Pasquale etwas brummte. Susy zuckte zusammen. Im selben Augenblick blieb der Kamm in einem Haarknoten stecken. Frau Pasquale sprang mit einem lauten Schrei vom Stuhl auf. Sofort kamen Schwester Waring und Schwester Weiss herbeigeeilt.
»Machen Sie sich nichts daraus«, sagte Schwester Waring zu Susy. »Schwester Weiss, kämmen Sie das Haar zu Ende.« Sie legte eine Hand auf Susys Schulter. »Gehen Sie in die Küche. Vielleicht können Sie dort etwas helfen.«
Susy ging niedergeschlagen davon. Warum mußte sie gleich bei ihrer ersten Aufgabe versagen? Nun würde Schwester Waring denken, sie taugte nichts. Andererseits war Susy froh, die heftige Italienerin verlassen zu können. In der Küche war niemand zu sehen. Sie öffnete die Tür zum Dienstzimmer. Schwester Folsom war damit beschäftigt, in einem kleinen kupfernen Sterilisationsapparat Gummihandschuhe auszukochen.
»Ich werde Ihnen die Arbeit abnehmen«, erbot sich Susy.
Schwester Folsom bedankte sich und verschwand.
Kaum eine Minute später hörte Susy eine Bewegung aus dem Saal, die immer näher kam. Zwischen gellenden Schreien, die nur von Frau Pasquale stammen konnten, ertönten die beruhigenden Stimmen der Schwestern Waring und Weiss.
Nun war der Lärm vor der Tür des kleinen Raumes angelangt. Frau Pasquale erblickte Susy. Mit einem Kreischen, das alles Vorangegangene übertraf, riß sie sich von den Schwestern, die sie zurückzuhalten versuchten, los und taumelte drohend auf Susy zu. Ihre schwarzen Augen glitzerten böse. Ihr Gesicht war dunkelrot vor Zorn. Die soeben gekämmten Haare sträubten sich wild nach allen Richtungen. Schwester Waring und Schwester Weiss bogen sich vor Lachen.
Aber Susy war nicht lächerlich zumute. Sie wich ein wenig zurück und versuchte, ein freundliches Gesicht zu machen.
Frau Pasquale stürzte kreischend auf sie zu, fuhr mit der Hand in ihre Blusentasche, zog sie wieder heraus und zerrte wild an Susys Schürze. Susy spürte ihren Atem im Gesicht. »Was ist - was ist los?« fragte sie ängstlich.
»Ich habe keine Ahnung.« Schwester Waring ergriff die Hände der Italienerin und hielt sie fest. »Schwester Weiss, laufen Sie schnell zur Station 27 und holen Sie die kleine italienische Schwester her.«
An der Tür bemerkte Susy das bleiche Gesicht von Hilda. Dahinter tauchten Schwester Folsom und Schwester Harris auf.
Die italienische Schwester war klein, kräftig und energisch. Sie schleuderte eine scharfe Frage in den Tumult. Frau Pasquale drehte sich zu ihr um und überschüttete sie mit einem heftigen Redestrom. Dabei stampfte sie mit den Füßen auf den Boden, so daß die Teller auf dem Heiztisch klapperten. Sie raufte sich die Haare. Sie drohte Susy mit der Faust. Sie klagte, schrie und tobte.
Als sie eine Atempause machte, sagte die italienische Schwester ruhig: »Sie behauptet, diese Probeschwester hätte ihr rotes Haarband gestohlen.«
»Ach, du liebe Güte!« rief Schwester Waring lachend. Sogar Susy mußte ein wenig lächeln.
Frau Pasquale, die von einem zum anderen geblickt hatte, brach plötzlich wieder los, wurde jedoch von einem einzigen Wort ihrer Dolmetscherin zum Schweigen gebracht.
Endlich fand Susy ihre Sprache wieder. »Aber ich habe das Band nicht genommen.«
Schwester Waring lachte. »Wer glaubt denn das? Natürlich haben Sie es nicht genommen.«
Frau Pasquale begann von neuem zu toben und brach in Tränen aus.
Schwester Waring wandte sich an die Dolmetscherin. »Sagen Sie ihr, daß sie ein neues Band bekommt.«
Nachdem die italienische Schwester dies übersetzt hatte, antwortete Frau Pasquale in heftigem Tonfall.
»Sie will das alte wiederhaben«, übersetzte die Dolmetscherin. »Sie sagt, die Schwester soll sich in acht nehmen. Wenn sie ihr
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