Susanne Barden 01 Hinaus ins Leben
fragte!
»Sie weiß genau, daß ich es vergessen habe«, sagte Susy zu dem Heiztisch. »Und wenn mir noch einmal Ähnliches passiert .«
Dieser Gedanke verfolgte Susy die ganze Nacht hindurch. Sogar die geschäftige Tätigkeit am frühen Morgen konnte ihn nicht verdrängen. Um sieben Uhr verließ sie niedergeschlagen die Station. In dem Korridor zu ebener Erde begegnete sie Schwester Waring. Die Ruhe, die von dem schönen jungen Gesicht ausstrahlte, bewog sie, ihr die ganze Geschichte zu erzählen. Wenn Schwester Waring die Sache nicht schwer nahm, brauchte sie sich keine Sorgen zu machen.
Aber Schwester Waring schien ziemlich beunruhigt zu sein. »Himmel, Kind!« rief sie, als Susy mit ihrem Bericht zu Ende war und ihr, die Haube schief auf den zerzausten roten Haaren, erwartungsvoll ins Gesicht sah. »Zu dumm, daß Ihnen das gleich in der ersten Nacht passieren mußte! Fräulein Ellison wird Sie von jetzt an scharf beobachten. Deswegen brauchen Sie aber nicht gleich das Schlimmste zu befürchten«, fügte sie hinzu, als sie Susys erschrockene Augen bemerkte. »So etwas kostet nicht gleich den Kopf.
Sicherlich wird während Ihres ganzen Nachtdienstes nichts weiter vorkommen. Und wenn der Monat vergangen ist, wird Fräulein Ellison Sie für die beste Schwester halten, die sie jemals gehabt hat. Geben Sie sich Mühe, sie davon zu überzeugen. Sie können es.«
»Ich werde es versuchen«, versprach Susy. Eine Zeitlang schien auch alles gut zu gehen. Aber Susys Selbstvertrauen war erschüttert. Aus Furcht, daß die tückische Schläfrigkeit sie noch einmal übermannen könnte, wagte sie es nicht mehr, sich nach Mitternacht an den Schreibtisch zu setzen. Sie verbrachte viele lange Stunden damit, ruhelos durch den Saal zu wandern. Mit quälendem Neid blickte sie auf die schlafenden Patienten.
Eigentlich hätten sie doch wachen müssen, schon allein um des Vergnügens willen, die Glätte der Laken zu spüren, die Wärme der Decken und die Weichheit der Kopfkissen unter ihren Wangen. Da lagen sie, entspannt, müßig, von dem warmen Strom des Schlafes umfangen. Und drüben in Haus Brewster schliefen Kit und Connie ruhig und sorglos, während Susy dauernd von dem Gefühl geplagt wurde, daß ihr alles unter den Händen zerrinne. Sie suchte wieder bei Schwester Waring Trost, wurde aber diesmal enttäuscht. Schwester Waring antwortete ein wenig ungeduldig:
»Wenn Sie sich Mühe geben, wird es schon gehen. Sie sind befähigt, und der Dienst ist nicht schwer. Die anderen Schwestern tun ihn ja auch. Sie müssen sich ein bißchen zusammennehmen.«
Susy fühlte sich ungerecht behandelt. Sie tat doch ihr Bestes, aber sogar Schwester Waring nörgelte an ihr herum.
In der nächsten Nacht fand Schwester Ellison einen Haufen schmutziger Wäsche im Dienstzimmer auf der Erde liegen und stellte Susy in ziemlich scharfem Ton zur Rede.
Zwei Nächte darauf ging sie einem verdächtigen Geruch nach und entdeckte ein Paar vollkommen verbrannte Gummihandschuhe im Sterilisationsapparat.
Susy sagte sich, daß solche Dinge nichts Ungewöhnliches waren. Sie passieren überall im ganzen Krankenhaus. Schlimm war nur, daß sie Fräulein Ellison in ihrer schlechten Meinung über Susys Leistungen bestärkten.
Am Anfang der dritten Woche ihres Nachtdienstes fand Susy eines Abends drei frisch operierte Patientinnen und fünf Neuaufnahmen vor, als sie zur Station kam. Sie würde keine Zeit finden, Gazetupfer zu schneiden, und sie war bereits im Rückstand damit. Nun, diesmal wollte sie Fräulein Ellison zeigen, was sie konnte.
In dieser Nacht kam der Chirurg ein paarmal in den Saal, um nach den operierten Patientinnen zu sehen. Er war sehr liebenswürdig, hatte rotblonde Haare und ein ernstes sommersprossiges Gesicht. Susy mochte ihn gern. Er hatte ihr mehr als einmal zu besonders interessanten Fällen seine Erläuterungen gegeben oder ihr geholfen, wenn es galt, eine schwere Patientin zu heben. Bei seinem letzten Besuch gegen drei Uhr morgens traf er Susy im Wäschezimmer an. Sie stand auf einer Leiter und suchte in den oberen Fächern nach einer besonders warmen Decke.
Als sie seine Schritte hörte, blickte sie sich lächelnd um. Das Licht der Deckenlampe fiel auf sein Gesicht, das sehr bleich war.
»Nun aber ins Bett mit Ihnen!« rief sie munter. »Sie sehen ja vollkommen erschöpft aus.«
»Das bin ich wahrhaftig. Ich gehe auch sofort schlafen. Ich wollte Ihnen nur noch sagen, daß ich die Anweisung für den Bauchschnitt ändern möchte.
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