Susanne Barden 01 Hinaus ins Leben
hochrot geworden war, und ergriff ihre Hände. »Du Biest! Warum hast du uns nichts davon gesagt? O Connie, ich habe richtig Gänsehaut bekommen.«
»Ach, war es wirklich so ...« stotterte Connie. »Ich dachte ...« Sie konnte nicht weitersprechen. Man klopfte ihr auf die Schultern und schüttelte ihr die Hände. Stühle und Bänke wurden gerückt, und es entstand ein gewaltiges Geraschel, als das Publikum sich erhob und viele zu Connie hineilten.
»Es war glänzend, Schwester Halliday. Ich kann einfach nicht sagen ... Constance Halliday, wie konnten Sie das nur ... so habe ich es immer empfunden, aber ich hätte nie ... Daß gerade Sie .«
Kits Augen ruhten zufrieden auf der kleinen schmalen Gestalt. »Von jetzt an lebe ich von dem Ruf, mit Connie befreundet zu sein«, verkündete sie. »Mit dem Mädchen, das den Geist eines Krankenhauses erkannt hat.«
Nun wichen die Schwestern, die Connie umringten, zur Seite, um Fräulein Matthes Platz zu machen, hinter der auch Fräulein Cameron auftauchte.
»Das war sehr, sehr hübsch, Schwester Halliday. Ich freue mich, daß Ihnen das Krankenhaus so ans Herz gewachsen ist. Sie müssen unbedingt etwas für unser Schulmagazin schreiben!«
Connie errötete noch mehr. Bevor sie etwas erwidern konnte, drängte sich Fräulein Cameron herzu, streng und steif wie immer, aber mit lächelnden Augen.
»Es war wundervoll, Schwester Halliday. Ich bin stolz auf Sie.«
Susy fühlte eine Hand auf ihrem Arm. Als sie sich umwandte, erblickte sie die Küchenschwester von Station 7.
»Ich nehme alles zurück, was ich gesagt habe. Sie hatten recht, Schwester Halliday ist mehr als in Ordnung. Ich bin jetzt ganz und gar für sie.« Und dann leise: »Alle denken so wie ich. Wir ahnten ja nicht, daß sie es so ernst meint.«
Susy lächelte. Die Schwestern hatten Connie wieder umringt. Sie blickte sich verzweifelt nach einem Fluchtweg um.
»Einen Augenblick, meine Herrschaften!« rief Susy laut. »Schwester Halliday hat jetzt nichts weiter zu sagen. Blumen können bei ihrem Manager abgegeben werden. Schwester Hallidays Nerven dürfen nicht überanstrengt werden. Machen Sie ihr bitte Platz.«
Sie führte Connie behutsam durch die lachende Menge. Ihr Weg durch den Saal glich einem Triumphzug. Als sie sich der Tür näherten, beschleunigte Connie ihre Schritte.
Draußen im Korridor blieb Susy stehen. »Geh bitte noch nicht fort, Connie! Sei nett und bleib zum Tanz.«
Connie schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht. Alle waren so lieb zu mir.« Ihre Augen lächelten Susy durch feuchte Wimpern an. »Denk an meine Nerven.« Sie wandte sich ab und wollte fortlaufen.
Aber Susy hielt sie noch einmal zurück. »Connie - jetzt ist alles gut, nicht wahr?«
»Ja, so gut ist es mir noch nie im Leben ergangen.«
Susy nickte ihr zu. »Ich bin sehr froh. Und - Connie .«
»Ja?«
»Fröhliche Weihnachten!«
Eine Pechsträhne
Das erregende Gefühl, die graue Tracht tragen zu dürfen und eine regelrechte Schwester zu sein, ließ allmählich nach. Sofort nach Neujahr begann wieder der Unterricht. Susy stellte fest, daß die Probezeit trotz der großen Nervenanspannung gegenüber dem jetzigen Achtstundentag auf der Station, zu dem noch theoretische Stunden hinzukamen, ein Kinderspiel gewesen war.
Der Unterricht am Krankenbett wurde »Klinik« genannt. Die Klasse suchte medizinische oder chirurgische Stationen auf, um sich diejenigen Patienten anzusehen, deren Krankheit gerade Gegenstand des Unterrichts war. Susy wunderte sich, daß die Patienten offenbar Vergnügen daran fanden. Sie kamen sich als »ungewöhnlicher Fall« und damit äußerst wichtig vor, während doch gerade das Typische ihres Falles der Grund dafür war, daß sie aufgesucht wurden.
Die Schwestern hatten Unterrichtsstunden über Diätetik, über Medikamente und über Embryologie - das heißt die Entwicklung eines Babys von seiner ersten Zellenform bis zum Augenblick seiner Geburt. Dreimal in der Woche fand im Kellergeschoß von Haus Grafton Unterricht im Bandagieren statt. Dabei ging es recht zwanglos zu. Die Schwestern verbanden sich gegenseitig unter Lachen und Schwatzen von Kopf bis Fuß, während die Lehrerin belustigt zuschaute.
Am ersten Februar wurde Susy wieder zur chirurgischen Frauenabteilung, und zwar nach Station 27, versetzt. Dort sollte sie eine Zeitlang Zwischendienst machen und darauf einen Monat Nachtdienst.
Der Zwischendienst dauerte von drei Uhr nachmittags bis elf Uhr abends. Dann übernahm die
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