Susanne Barden - 03 in New York
Wut.
Diese Wutanfälle waren jedoch recht heilsam, denn sie rissen Susy aus ihrer niedergeschlagenen Stimmung heraus. Man kann nicht niedergeschlagen und wütend zugleich sein. Und wenn Susy auch Stunden äußerster Verzweiflung durchlebte, in denen ihr das ganze Leben trostlos erschien und sie nicht die geringste Aussicht auf eine Änderung sah, so wurde sie doch immer wieder von einer erfrischenden Wut aus ihrer Trübsal aufgerüttelt.
Gern hätte sie der Mutter ihr Herz ausgeschüttet. Aber in Briefen konnte man sich niemals so ganz klar ausdrücken. Wenn sie Urlaub hatte und heimfuhr, wollte sie den Eltern alles erzählen. Zeit habe ich jetzt ja im Überfluß, dachte sie bitter.
Kit und Marianna zeigten sich sehr verständnisvoll, und das tat ihr gut. Marianna gab sich, natürlich immer knurrend und brummend, große Mühe, sie aufzumuntern. Eines Abends kam sie später als sonst nach Hause und drückte sich auffallend unruhig in den Zimmern herum. Sie sah Susy unentschlossen an. Dann ging sie in die Küche hinaus, kam bald darauf zurück und schien etwas sagen zu wollen, sagte jedoch nichts. Nachdem sie das eine Weile so getrieben hatte, konnte Susy es nicht länger aushalten. »Um Himmels willen, Marianna! Willst du mich hypnotisieren, oder hast du dir ein neues Unterhaltungsspiel ausgedacht?«
Marianna errötete. »Ach, ich dachte gerade — Ich wollte dir etwas sagen und weiß nicht recht, wie ich anfangen soll.«
»Was ist es denn?« Susy legte ihr Buch aus der Hand, in dem sie gar nicht gelesen hatte.
»Ja - ich bin heute abend wo gewesen - für dich - sozusagen. Natürlich nicht richtig für dich - sondern eigentlich für mich. Aber ich dachte - du wirst dich vielleicht freuen. Also hab ich’s doch für mich getan, nicht? Ich meine - ich freu mich - wenn du dich freust - sozusagen.«
»Und?«
»Hm - ja.« Marianna holte tief Luft und platzte dann mit ihrer Neuigkeit heraus. »Ich hab mich für September zur Abendschule angemeldet. Ich - werde Krankenschwester - später mal.«
»Marianna!« schrie Susy. »Das ist ja wundervoll! Hast du das gehört, Kit? Marianna will eine Abendschule besuchen.«
»Und dann werd ich Krankenschwester«, ergänzte Marianna eifrig.
»Ja, und dann wird sie Krankenschwester. O Marianna, wie mich das freut! Du wußtest, daß ich mich darüber freuen würde, nicht wahr?«
Marianna nickte und versuchte, ein finsteres Gesicht zu machen. »Das hat doch nichts zu sagen.«
Kit kam die Treppe heruntergebraust und rief: »Das müssen wir feiern! Wir gehen ins Kino. Ich lade euch ein! Ein Hoch für Marianna!«
Susy war tief gerührt von Mariannas Entschluß. Sie wußte sehr wohl, was es sie gekostet hatte, in dieser Sache nachzugeben, denn sie war sonst unbeugsam wie Eisen. Jedes Unglück hatte eben auch sein Gutes, und diesmal kam es Marianna zugute. Wenn sie erst einmal mit einer Sache begonnen hatte, führte sie sie auch durch. Was für eine Krankenschwester sie allerdings abgeben würde, konnte Susy sich nicht recht vorstellen.
Auch die Arbeit bewahrte Susy davor, sich von ihrem Kummer unterkriegen zu lassen. Besonders die Tätigkeit im Mütterklub half ihr oft über trübe Stunden hinweg, nicht nur weil sie neu und interessant für sie war, sondern vor allem, weil es häufig etwas zu lachen gab. Und lachen war im Augenblick die beste Medizin für Susy.
Es war der Zweck des Klubs, werdende Mütter zu lehren, wie sie sich vor und nach der Geburt zu verhalten hatten. Sie erhielten Unterricht über die Entwicklung des Kindes von seiner Entstehung bis zur Geburt. Sie lernten nach Schnittmustern Kleider für sich und den Säugling nähen. Sie lernten es, mit dem Thermometer umzugehen. Sie lernten, welche Gegenstände für die Säuglingspflege gebraucht wurden und wie und wozu man sie benutzte. Da gab es bunte Karten, auf denen Lebensmittel abgebildet waren, die für Mutter und Kind besonders gesund sind. Nach ihnen stellten sie verschiedene Mahlzeiten zusammen. An einer Puppe von der Größe eines neugeborenen Babys lernten sie, wie man die Kleinen badet, und sie übten so lange mit ihr, bis sie jeden Griff beherrschten.
Am ersten Tag ihres Erscheinens und später alle drei Wochen wurde jede Mutter in ein Zimmer neben dem Versammlungsraum gerufen und gefragt, ob sie irgend etwas bedrücke, ob sie Hilfe brauche, ob sie Beschwerden oder ungewöhnliche Symptome zu beklagen habe. Nach den Vorträgen wurden Erfrischungen herumgereicht
- Tee, Butterbrote und Kekse -,
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