Susanne Barden 04 - Weite Wege
Kommen Sie rein und stehn Sie nicht da wie bestellt
und nicht abgeholt.«
Susy folgte ihm in das kleine vollgestopfte Bürozimmer und setzte sich auf einen alten Rohrstuhl, den er ihr hinschob, während er sich auf einen Drehstuhl fallen ließ und zu ihr herumschwang.
»Na, was gibt’s denn?«
Susy erzählte ihm alles. Sie gab sich Mühe, klar und sachlich zu sprechen. »Ich denke, mein Platz ist neben meinem Verlobten«, schloß sie. »Außerdem bin ich in New Hampshire aufgewachsen und liebe das Land. Selbst wenn ich niemals etwas von Dr. Barry gehört hätte, würde ich gern hier arbeiten. Sie brauchen eine Krankenschwester, und ich habe die beste Ausbildung gehabt, die es gibt.«
Herr Phinney brummte. Aber seine Augen waren nicht unfreundlich. Der Drehstuhl quietschte kläglich, als er sich herumschwang, um aus dem Fenster zu sehen. Susy wartete atemlos. Nach kurzer Zeit drehte er sich zu ihr zurück. »Sie sind offen, das gefällt mir. Und ich mag den Doktor gern. Oben in den Bergen gibt es viel Elend, und hier unten im Ort sind auch genug Kranke. Eine gute Krankenschwester würde —« Er stockte.
Susys Augen leuchteten auf. »Sie glauben also —«
Der alte Mann sah sie mitleidig an. »Jeder Mensch im Ort würde glücklich sein, Sie hier zu haben, aber wir können es uns einfach nicht leisten. Vielleicht in ein paar Jahren, aber jetzt noch nicht. Es hat keinen Zweck, die Sache vor den Gemeinderat zu bringen. Es tut mir schrecklich leid.«
»Sehr freundlich«, stammelte Susy. »Ich - hätte nicht darauf hoffen sollen. Gibt es denn keinen anderen Weg?«
Herr Phinney faltete die Hände über seiner Uhrkette. Dann sagte er nachdenklich: »Sie könnten es bei Elias Todd versuchen. Er kann so ungefähr alles tun, was er will - wenn ihm nur genug dran liegt.«
»Wer ist Elias Todd?«
Wieder brummte Herr Phinney. »Er ist unser Licht in der Finsternis. Stammt hier aus dem Ort, ging nach New York und wurde ein reicher Mann. Man sagt sogar, er sei Millionär. Er kommt gern hierher und tut sich vor den Leuten dick. Spaziert in Pluderhosen umher und hat ‘ne Zucht von ulkigen kleinen Hunden - einen Meter lang und fünf Zentimeter hoch.«
»Ach, Sie meinen Dackel!«
»Er liebt seine Köter mehr als die Menschen.«
»Ist er auch im Winter hier?«
»Ja. Er hat jetzt viel zu tun, weil ‘ne Menge Skiläufer herkommen. Hat ein Hotel oben am Kahlschlag und macht wahrscheinlich gutes Geld damit. Er rühmt sich ja immer, daß er nur Dinge anfängt, die goldsicher sind. Er brauchte aber ‘ne Frau, dieser Mann; findet heiraten wohl zu riskant.«
»Und warum glauben Sie, er könnte bereit sein, mir zu helfen?«
»Ich sagte doch schon, daß er sich gern dicktut. Vielleicht läßt er sich beschwatzen, wenn Sie ihm einreden, daß die dankbaren Einwohner ihn für ewige Zeiten als ihren Wohltäter feiern werden.« Die rötlichbraunen Augen zwinkerten Susy zu, aber sein Gesicht blieb ernst.
Susy stand lachend auf, schon wieder voller Hoffnung. »Vielen Dank für den Rat, Herr Phinney. Wann ist es Ihrer Meinung nach am besten, Herrn Todd aufzusuchen?«
»Weiß ich nicht. Augenblicklich ist er gar nicht im Ort. Er kommt und geht. Sie müssen abwarten.«
»Gut! Nochmals vielen Dank! Auf Wiedersehen, Herr Phinney!«
Über Lot Phinneys wettergebräuntes Gesicht breitete sich ganz überraschend ein wohlwollendes Lächeln. »Viel Glück! Hoffentlich kriegen Sie ihn rum!«
Noch ist alles in der Schwebe
Zwei Wochen lang wartete Susy ungeduldig auf Elias Todd. Bills Bruder schrieb einen langen rührenden Brief, in dem er darum bat, sein Studienjahr im Ausland beenden zu dürfen. Bill war gern damit einverstanden, denn auf diese Weise erübrigten sich neue Umstellungen. Er mietete zwei Zimmer unten im Ort. Frau Barden fuhr nach Hause, und Susy zog in das kleine schiefergedeckte Häuschen von Anne Cooney, das hoch oben an einem Berghang lag.
Frau Cooney hatte Susy den Vorschlag gemacht, zu ihr zu ziehen. »Ihre Mutter kann hier nicht bis zum Jüngsten Tag sitzen und warten, bis Elias Todd auftaucht, und allein möchten Sie doch sicherlich nicht bei Bowkers wohnen bleiben. Ich hab jetzt keine Stellung und bin froh, wenn ich ein Zimmer vermieten kann.«
Von dem kleinen Haus hatte man eine unvergleichlich schöne Aussicht. Vor den Fenstern ragte eine Gipfelkette hinter der anderen in erhabenem Schweigen gen Himmel. Susy schlief in einem reizenden, altmodischen Zimmerchen mit schrägen Wänden und geblümten Tapeten. Wenn
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