Susanne Barden 04 - Weite Wege
Gemeindeschwester von Springdale würde sie ja auch einen eigenen Wagen brauchen. Daran hatte sie bisher noch gar nicht gedacht. Woher sollte sie den Wagen aber nehmen? Geschenkt bekam sie ihn sicherlich nicht.
Sie stand immer noch sinnend da, als die Schwester auftauchte - ein frisches Mädchen in einem Waschbärmantel und mit dem üblichen schwarzen Filzhut auf dem Kopf. Unter dem Mantel guckte ein blauer Rock hervor.
»Guten Tag«, grüßte Susy.
»Guten Tag.«
Sie lächelten einander zu.
»Ich hab mir gerade Ihren Wagen angesehn«, erklärte Susy. »Ich bin auch Krankenschwester - komme soeben von Henry Street in New York und ...«
»Henry Street!« rief die Schwester. »Könnte ich vielleicht ein paar Worte mit Ihnen sprechen? Die staatliche Fürsorgeorganisation ist fast haargenau nach dem Muster der Henry-Street-Stiftung aufgebaut. Aber ich bin noch nie einer Schwester von dort begegnet.«
»Ich möchte noch viel lieber mit Ihnen sprechen als Sie mit mir. Ich brauche nämlich sehr nötig Ihren Rat.«
Die Schwester lachte belustigt. »Kommen Sie in meinen Wagen! Dort sind wir vor dem eisigen Wind geschützt. Übrigens - ich heiße Mowbray.«
»Und ich heiße Susanne Barden.«
Als sie in den Wagen kletterten, bemerkte Susy ein Paar Schneereifen auf dem hinteren Sitz. »Sind Sie wirklich Krankenschwester und nicht etwa ein verkleideter Reisender für Sportartikel?«
»Warum? Ach so, die Schneereifen!«
»Und die Skier!«
»Sie gehören hier zur Ausrüstung. Im Sommer hab ich gewöhnlich ein Kanupaddel im Wagen. Schon mehr als einmal hab ich mir ein fremdes Boot ausleihen müssen.«
»Wie wunderbar!«
»Na, ich weiß nicht recht. Aber nun erzählen Sie, was Sie auf dem Herzen haben.«
Wieder einmal erzählte Susy ihre Geschichte. Leider war Fräulein Mowbray ebenso pessimistisch wie die meisten anderen Menschen, mit denen sie bisher über ihren Plan gesprochen hatte.
»Ich weiß nicht recht«, sagte sie wieder, und Susy dachte etwas erbittert, daß hier offenbar kein Mensch etwas wußte. »Eine Fürsorgeschwester wird allerdings dringend gebraucht, darüber sind sich alle einig. Die Gebiete, die unsere Mädchen zu betreuen haben, sind viel zu groß. Aber damit ist Ihnen nicht geholfen. Über Todd kann ich Ihnen auch nicht viel sagen. Wahrscheinlich wird er mit Ihnen schöntun. Aber das hat nichts zu sagen. Er kommt sich als ganz was Besonderes vor und ist bemüht, das Idealbild zu verkörpern, das er sich von sich selbst gemacht hat.«
»Das klingt nicht gerade ermutigend.«
»Warten Sie mal, da fällt mir etwas ein!« Fräulein Mowbrays Miene erhellte sich. »Das amerikanische Rote Kreuz ist sehr großzügig und schießt manchmal zu den Gehältern von Krankenschwestern zu oder spendet Wagen und Ausrüstungen. Wenn Sie Elias Todd dazu kriegen, für Ihr Gehalt zu sorgen, wird das Rote Kreuz sicherlich einen Wagen stellen. Sie könnten das ihm gegenüber erwähnen. Vielleicht macht es Eindruck auf ihn.«
»Er scheint ja fürchterlich zu sein!« Susy schnitt eine klägliche Grimasse.
Fräulein Mowbray lachte. »Na ja. Aber Menschen seiner Art sind gewöhnlich leicht zu behandeln.«
Susy dachte ein wenig bange, daß jede Regel ihre Ausnahme habe. Dennoch hatte ihr die Unterhaltung mit Fräulein Mowbray neuen Mut eingeflößt. Es war bestimmt vorteilhaft für ihre Sache, wenn sie Herrn Todd eine Hilfe durch das Rote Kreuz in Aussicht stellen konnte.
»Ich muß jede Chance ausnützen«, dachte sie. »Elias Todd ist meine letzte Hoffnung. Hilft er mir nicht, dann schwebe ich vollkommen in der Luft. O Himmel, wenn er doch nur bald käme, damit ich endlich weiß, woran ich bin!«
Elias Todd kam jedoch noch lange nicht, und ehe sich ihre Nervosität und Ungeduld noch weiter steigern konnten, ereignete sich etwas, wodurch sie gänzlich von der geplanten Unterredung mit ihm abgelenkt wurde. Wieder erkrankte jemand an Typhus. Drei Tage darauf gab es zwei neue Fälle.
»Ich versteh das einfach nicht«, sagte Bill abends zu Susy, während er unruhig im Zimmer auf und ab ging. »Diesmal hat es nur Männer erwischt. Das hat natürlich nichts zu sagen. Sie wohnen in verschiedenen Ortsteilen; keiner von ihnen ist mit den ersten beiden Typhuskranken in Berührung gekommen; und in keiner der betroffenen Familien ist jemals ein Mensch an Typhus erkrankt. Ich habe schon sämtliche Brunnen in Springdale und die Milch untersucht.« Er fuhr sich verzweifelt mit den Fingern durch die Haare, so daß sie wirr von
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