Susanne Barden 04 - Weite Wege
Gerüchte über dich?«
»Ja, so etwas muß es sein.«
»Wie kommst du darauf?«
Nun erzählte er von den Angriffen gegen ihn. »Wenn das nicht bald aufhört«, schloß er, »werde ich mir eine Stellung als Schlächtergeselle suchen müssen.«
»Ach, Bill, so schlimm ist es nun wieder nicht!«
»Ich fürchte doch!« Er lachte grimmig. »Aber ich werde mich heldenhaft schlagen und bis zum letzten Blutstropfen kämpfen.«
»Und ich werde dir als treuer Bundesgenosse beistehen. Wir wollen eine Pfadfindergruppe gründen, in der wir beide die einzigen Mitglieder sind.«
Als Susy später mit Anne sprach, war ihr Ton jedoch nicht mehr so lustig. Anne war nicht beim Kirchenessen gewesen und machte sich schon zum Schlafengehen fertig. Sie steckte in einem hochgeschlossenen Flanellnachthemd mit langen Ärmeln, das ballonartig um ihren kräftigen Körper wogte, während sie ihre Haare vor dem
Spiegel in Lockenwickel legte.
»Hier drin ist es so kalt, daß man sich den Atem abbricht«, sagte sie. »Geh in die Küche und schür das Feuer. Ich nehme nur meinen Morgenrock um.«
Während die beiden sich dann vor dem Küchenherd die Füße wärmten, schüttete Susy der alten Freundin ihr Herz aus.
»Reg dich nicht zu sehr darüber auf, Kindchen!« Annes Lockenwickel zitterten bei jeder Bewegung ihres Kopfes. »Die Leute reden immer. Wenn alle so über den Doktor denken würden, hätte ich doch schon davon gehört.«
»Du bist in letzter Zeit wenig fortgegangen, Anne«, gab Susy zu bedenken. »Was soll ich nun machen? Soll ich es ihm erzählen?«
»Das würde ich dir nicht raten. Warum willst du ihn mit dem Geschwätz beunruhigen? Warte ab und halt die Ohren offen. Auch ich werde mal ein bißchen rumhorchen.«
Aber weder Susy noch Anne erfuhren etwas Neues. Ihr nahes Verhältnis zu Bill verschloß den Leuten den Mund. Nachdem Anne eine Woche lang emsig im Ort herumgehorcht hatte, mußte sie gestehen, daß sie nicht das geringste erfahren hatte. »Das einzige, was ich bemerken konnte, war ein sonderbarer Blick. Manche haben ihn und manche wieder nicht. Es wird wohl nicht so schlimm sein, wie der Doktor glaubt. Ich denke, wenn er so tut, als ob gar nichts los ist, wird die ganze Sache von selber aufhören. Manchmal werden die Leute plötzlich ganz verrückt und ziehen so schrecklich über einen Menschen her, daß man glaubt, sie sind die Löwen, die Daniel verschlingen wollten. Aber es endet auch meist auf die gleiche Weise. Wenn man sich ruhig hinsetzt und sie gar nicht beachtet, fällt ihnen nach einer Weile ein, daß sie eigentlich gar keinen Appetit haben. Das Warten ist natürlich ekelhaft. Aber sobald eine von den Bestien aufhört, sich das Maul zu lecken, und erklärt, daß alles nur Spaß war, fängt bald die ganze Meute zu schnurren an.«
Susy versuchte sich einzureden, daß sie beruhigt war. Aber sie war es nicht. Sie hatte das Gefühl, den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als Gesichter zu beobachten, die ihr nichts verrieten. Ihre Arbeit verrichtete sie automatisch und fast ohne zu wissen, was sie tat. Dennoch machte sie diese offenbar gut, denn immer mehr lächelnde Gesichter grüßten sie auf ihren Runden, die sie anfangs zu Fuß durch Springdale machte und später, als ihr Wagen eintraf, zu außerhalb liegenden Farmhäusern und entfernten Dörfern ausdehnte.
Der Wagen, den das Rote Kreuz geschickt hatte, war schön und bequem. Sobald die Leute von dem Auto erfuhren, klingelte das
Telefon bei Anne Cooney immer öfter. Susy folgte getreulich jedem Ruf. Aber sie hielt sich an die Regeln von Henry Street und machte nicht mehr als drei Besuche bei einem Patienten, ohne daß der Arzt hinzugezogen wurde; und der einzige Arzt im Ort war Bill. Manchmal rief man sie wieder, aber oft blieb ihr dritter Besuch in einem Haus auch ihr letzter. Sie hätte gern gewußt, was ihre Gönner vom Farmklub dazu sagten, und eines Tages fragte sie Martha Edgett.
»Niemand hat etwas gegen Sie«, erklärte Frau Edgett bestimmt. »Ihre Arbeit wird überall gelobt. Was den Doktor angeht - da sind die Leute wie Hühner, die sich nicht entschließen können, ob sie über die Straße laufen sollen oder nicht. Und was Ihr Verhältnis zum Doktor angeht - Frauen stehen meist zu einer Geschlechtsgenossin, wenn ihr Mann in der Klemme steckt, gleichgültig, was sie von ihm selber denken.«
»Aber was denken sie von ihm?«
»Darüber haben sie sich nicht zu mir geäußert. Sie werden sich hüten! Ich höre nur hin und wieder so was wie ein
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