Susanne Barden 04 - Weite Wege
fand sie die typischen Anzeichen für Typhus. Immer wieder hörte sie die gleiche Geschichte: Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, kein Appetit, Muskelziehen, Nasenbluten und dann hohes Fieber mit geröteten Wangen, trockener Haut und blutunterlaufenen Augen. Während sie dem stets gleichbleibenden Bericht zuhörte, untersuchte sie Brust und Unterleib des Patienten, und jedesmal fand sie die gefürchteten roten Flecken, winzige Punkte, die fast für eine Minute verschwanden, wenn man mit dem Finger darauf drückte. Dann rief Susy nach Bill, der fast überall mürrisch und unfreundlich empfangen wurde.
»Du bringst dir am besten immer gleich sterilisierte Reagenzgläser mit und nimmst selber eine Blutprobe«, sagte er unglücklich. »Ich muß die Widaluntersuchung ja doch bei mir machen.«
Dies erleichterte ihnen die Arbeit. Bald gab Susy die Hoffnung auf, daß einige Blutuntersuchungen negativ ausfallen würden. Anfangs sah sie Bill noch aufgeregt über die Schulter und beobachtete gespannt, wie er die Untersuchung machte. Das Verfahren war sehr einfach. Er infizierte einen Blutstropfen des Patienten mit Typhusbazillen, die er vom Staatlichen Gesundheitsamt erhalten hatte, und betrachtete ihn durch das Mikroskop. Stets hörten die zuerst heftig umherschwimmenden Bazillen auf, sich zu bewegen, und ballten sich zu einem Klumpen zusammen. Dann sagte Bill jedesmal verzweifelt: »Positiv!«
Man befragte die Patienten und stellte dabei verwirrende Tatsachen fest. Alle Personen, die erkrankt waren, hatten am Kirchenessen teilgenommen, aber nicht alle, die daran teilgenommen hatten, waren erkrankt. Die Kranken hatten die verschiedensten Dinge gegessen, nur etwas hatte jeder von ihnen gegessen, nämlich das berühmte Eis von Frau Ventress. Aber von den etwa fünfzig Personen, die am Kirchenessen teilgenommen und Eiskrem gegessen hatten, waren nur achtzehn an Typhus erkrankt. Der große Eisbehälter war natürlich längst ausgewaschen und beiseite gestellt worden. Typhusbazillen können wohl eine Zeitlang außerhalb des menschlichen Körpers leben, wenn sie genügend Feuchtigkeit haben, aber sie hätten niemals zwei Wochen lang in einem trockenen Metallbehälter überstehen können und auch nicht auf trockenen Tellern. Bill machte eine Blutuntersuchung von Frau Ventress, die jedoch negativ ausfiel. Dann kam die Milch an die Reihe. Sie stammte aus der örtlichen Meierei und war bereits untersucht worden, nachdem der Typhus zum erstenmal aufgetreten war. Dennoch fuhr Bill noch einmal zur Meierei und wiederholte die Untersuchung - mit dem einzigen Erfolg, daß der Meiereibesitzer in Wut geriet.
Susy und Bill kämpften verzweifelt gegen die Epidemie an und beschlossen, die ganze Bevölkerung des Ortes und der umliegenden Farmen gegen Typhus zu impfen. Anfangs war Bills Wartezimmer überfüllt. Dann ließ der Andrang nach, bis schließlich überhaupt niemand mehr kam. Susy lief von Haus zu Haus und redete den Leuten zu, sich impfen zu lassen.
»Es hat keinen Zweck, Fräulein Barden«, sagten sie. »Wir haben nichts gegen Sie, aber wir lassen uns nicht vom Doktor anstecken.«
»Was wollen Sie damit sagen?« rief Susy. »Er will Sie doch gerade davor bewahren, daß Sie sich anstecken. Wenn man geimpft wird, steckt man sich nicht an.«
»Wir lassen uns nicht von ihm impfen.«
»Aber warum denn nicht?«
Sie sahen Susy mitleidig an und zuckten die Achseln.
Gott sei Dank kam bald darauf Dr. Vinal vom Winslower Gesundheitsamt nach Springdale. Er war ein verständnisvoller alter Herr, den man seit langem in der Gemeinde kannte. Schließlich impfte er die Leute, während Susy ihm dabei assistierte.
»Kopf hoch, mein Junge!« tröstete er Bill, der schon ganz abgehärmt aussah. »So etwas geht vorüber. Sogar vernünftige Leute werden manchmal von einer Panik ergriffen und benehmen sich höchst unvernünftig.«
Das Krankenhaus in Winslow übernahm zehn Patienten - mehr Betten waren nicht frei - , und Dr. Vinal wollte auf Bills Bitte hin einen jungen Assistenzarzt nach Springdale schicken, der die Patienten behandeln sollte, die zu Hause lagen.
»Ich will mein Möglichstes tun, den Leuten den Unsinn auszureden«, versprach er. »Im Augenblick werde ich allerdings nicht viel ausrichten können. Vielleicht sind einige bereit, sich telefonisch von Ihnen behandeln zu lassen. Hier ist ja eine tüchtige Gemeindeschwester, die Ihre Anweisungen ausführen kann. Zu dumm, daß Sie kein Krankenhaus im Ort haben!«
»Es würde leer stehen«,
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