Susanne Barden 04 - Weite Wege
brauchen. Sie waren so flink mit den Kohlen, daß nur die oberste Haut verletzt ist. Bei schlimmeren Verbrennungen hilft kalter Tee allerdings nicht, aber bei leichteren ist er ein gutes Mittel.«
»Ich - wie soll ich Ihnen danken?«
»Ach, das hat doch nichts zu sagen. Aber wie ist das Unglück eigentlich geschehen?«
»Ich schürte das Feuer ein bißchen - und die Herdtür stand weit offen. Der Herd war wohl ziemlich voll und - ich hatte gar nicht gesehen, daß Jackie neben mir auf der Erde rumkroch. Plötzlich fiel ein Haufen Kohlen heraus. Sie wären nur auf den Fußboden gefallen, wenn nicht gerade Jackie .«
»Ach so! Gehen Sie jetzt zu Ihrem Mann und sagen Sie ihm, daß nichts Schlimmes passiert ist. Er muß ja in Todesängsten schweben. Und sorgen Sie dafür, daß immer ein Topf mit kaltem Tee zur Hand ist, wenn Sie kochen.«
»Das werd ich bestimmt tun.«
Die Haustür öffnete sich, und Bill trat in die verräucherte Küche. »Was ist denn hier los?«
Susy erzählte ihm, was sich inzwischen ereignet hatte. Er nickte und sah sie warm an. »Das hast du gut gemacht. Ich habe etwas Gerbsäure bei mir, damit werden wir die Brandwunden völlig heilen.«
Nachdem Frau Leffert ihnen gute Fahrt gewünscht hatte, fuhren sie zurück. Der frische Bergwind blies ihnen ins Gesicht, und der Himmel wölbte sich in unendlicher Bläue über ihnen.
»Mein Herz«, sagte Bill plötzlich. »Ich liebe dich.«
»Danke, Doktor! Und was nun?«
»Nichts - außer Mittagessen.«
»Und danach?«
»Nichts - jedenfalls nicht für dich. Ich habe Sprechstunde, aber dabei sollst du mir nicht helfen.«
»Machst du denn nachmittags keine Besuche?«
»Nein.«
»Ich habe also für den Rest des Tages frei?«
»Nun ja«, antwortete Bill leichthin. »Wenn du später deinen Wagen hast und auf eigene Faust losziehst ...«
»Aber ich könnte doch eine Menge deiner Patienten kennenlernen, wenn ich dir in der Sprechstunde helfe.«
»Es gibt wirklich nichts für dich zu tun - falls ich nicht fortgeholt werde. Dann rufe ich dich an. Möchtest du heute abend mit mir zum Kirchenessen gehen?«
»Ja, gern, aber ...«
»Fein!« sagte er schnell. »Himmel, Susy! Dieser Unfall bei den Lefferts wird mehr dazu beitragen, dich in Harville beliebt zu machen, als drei Monate harter Arbeit es vermocht hätten. Es wird sich wie ein Lauffeuer herumsprechen, wie du das Kind mit dem Tee gerettet hast. Solche Dinge gefallen den Leuten; sie sehen einen Beweis für göttliche Eingebung darin. Ich wünsche den Lefferts weiß Gott nichts Böses, aber ihr Unfall war für dich ein Glücksfall.«
»Ja, ich weiß. Dennoch wird es sehr lange dauern, bis ich mich in Harville durchgesetzt habe.«
»Wenn du in einem Jahr auch nur auf eine einzige Familie einzuwirken vermagst, ist schon viel erreicht. Donnerwetter, ist der Berg hier steil!« Er wandte seine Aufmerksamkeit der Straße zu. Über Susys Hilfe bei der Sprechstunde wurde nicht mehr gesprochen.
Typhus
Wenn Susy später an die folgenden beiden Wochen zurückdachte, erschienen sie ihr wie ein langer quälender Traum. Obwohl zwischen Bills Geständnis und dem Ausbruch der Typhusepidemie zehn verhältnismäßig ruhige Tage vergingen, kam es ihr später so vor, als sei damals alles zur gleichen Zeit geschehen. Die Ankunft von Marianna und Susys neuem Wagen gingen in dem Wirbel der Ereignisse fast unter.
Es begann mit dem Kirchenessen, das wie jedes andere Kirchenessen in irgendeiner Kleinstadt Neu-Englands verlief. Von der Decke des Rathaussaales strahlte blendendes Licht auf lange, gedeckte Tische, die mit Essen beladen waren. Da gab es große Platten mit gebratenen Hühnchen, Schüsseln voll gebackener Bohnen, Steintöpfe mit eingelegten Gurken, braune knusprige Pasteten, riesige Baumkuchen, dick mit Zucker bestreute Pfannkuchen, leuchtendrotes und bernsteingelbes Gelee, süße elfenbeinfarbene Butter.
In der großen Halle herrschten Lärm und Bewegung. Kleine Jungen schlidderten über den glatten Fußboden oder kletterten über die Bänke; schwere Männerstiefel stampften durch den Raum; ansehnliche Matronen in Küchenschürzen eilten geschäftig hin und her. Die Schüler der Oberschule gaben gewaltig an, und die Mädchen der Oberschule taten, als bemerkten sie sie nicht.
Susy und Bill kamen ziemlich früh. Nachdem sie gegessen hatten, begrüßten sie Freunde und Bekannte. Susy sprach mit ein paar Frauen vom Farmklub. Dann unterhielt sie sich mit Lot Phinney und seiner netten liebenswürdigen
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