Susanne Barden 04 - Weite Wege
erkrankt und brauchten nicht viel Pflege. Aber die Kranken wohnten weit voneinander entfernt, und das kostete Susy viel Zeit. Eigentlich hatte sie sich ihr Leben als selbständige Fürsorgeschwester anders vorgestellt. Oft vermißte sie die beratende und erfahrene Aufsicht einer großen Organisation. Niemand löste sie ab; niemand konnte ihr einen Rat erteilen. Die Mitglieder des Farmklubs unterstützten sie wohl, verstanden jedoch nichts von Krankenpflege. Der Ausschuß verlangte von ihr, daß sie die Initiative ergriff. Und obwohl die Bevölkerung, die ja vorher keine eigene Krankenschwester gehabt hatte, sehr zufrieden mit ihr war, wußte Susy wohl, daß sie im Augenblick ihre eigentliche Aufgabe vernachlässigte. Unter den gegenwärtigen Umständen war nichts daran zu ändern. Wie mochten wohl andere selbständige Fürsorgeschwestern mit ihrer Arbeit fertig werden? In New Hampshire arbeiteten ja viele Schwestern, ebenso wie Susy, für Klubs und private Gesellschaften oder waren von Gemeinden angestellt. Nun, jetzt hatte sie keine Zeit, sich eingehender mit diesem Problem zu beschäftigen.
Als sie ziemlich spät und recht erschöpft nach Hause kam, erfuhr sie, daß Bill nicht zum Essen gekommen war. Man hatte ihn nach Harville gerufen. Immer noch hatte Susy keine Ahnung, wie sie seinen Verdacht auf Jul Wherity lenken sollte, ohne daß er Verdacht schöpfte. Sie aß schweigend und bemerkte gar nicht, daß Marianna fast noch schweigsamer war. Anne sah von einer zur andern und sagte ebenfalls kein Wort. Nach dem Essen ging Marianna mit ihren Schulbüchern nach oben, und Anne begann abzuwaschen.
»Ich werde abtrocknen«, sagte Susy.
»Aber warum denn, Kind? Du bist ja todmüde.«
»Nein, ich bin nicht müde. Ich möchte etwas mit dir besprechen. Gib mir bitte ein Handtuch.«
Während der kalte Märzwind ums Haus pfiff, während die heiße Seifenlauge an Annes Armen herunterlief und tropfnasse Gläser im Lampenlicht aufblitzten, trocknete Susy ab und besprach ihre Pläne mit Anne. Und während sie sprach, klärten sich ihre Gedanken.
»Ja, es muß Jul sein, das ist sicher«, sagte Anne.
»Ich glaube es auch. Alles stimmt zusammen. Da sind allerdings noch die Masons, aber das kann Bill aufklären.«
Susy schwieg und polierte einen Teller blank. Dann fragte sie: »Hör mal, Anne, wie steht’s mit deinem Holzvorrat?«
»Ach, ich hab noch genug Holz. Warum fragst du? Ach so!!« Annes Gesicht verzog sich zu einem breiten Lächeln. »Du bist flink, Kind, das muß man sagen! Ja - wenn ich richtig darüber nachdenke - eigentlich brauche ich sehr nötig Feuerholz.«
»Willst du Bill nicht bitten, dir einen Mann zum Holzhacken zu schicken?«
»Ja, gewiß. Vielleicht kann er Jul Wherity für mich auftreiben.«
»Anne, was für eine herrliche Idee! Paß auf, wie ich mir die Sache denke!« Eifrig erklärte Susy ihren Plan.
Anne nickte von Zeit zu Zeit mit dem Kopf. »Natürlich helfe ich dir! Ich glaube, da kommt der Doktor schon. Soll ich sofort anfangen?«
»Ja!« Susy warf das Handtuch auf einen Stuhl und flog zur Tür. Im nächsten Augenblick spürte sie Bills kaltes Gesicht an dem ihren.
»Guten Abend«, grüßte er.
»Guten Abend! Bist du sehr müde?«
»Ein bißchen. Ich hatte auf dem Rückweg eine Reifenpanne. Wie ist’s mit einem Stück Apfelpastete, Anne? Ein kleines Stück genügt mir - so ungefähr eine halbe Pastete.« Er hängte Hut und Mantel an einen Haken über der Holzkiste und legte seine nassen Handschuhe zum Trocknen hinter den Ofen.
Anne streifte den Seifenschaum von den Armen. »Setzen Sie sich zu Tisch, Doktor«, sagte sie, während sie nach einem Handtuch griff, um sich die Hände abzutrocknen. »Ich hab was Besseres als Apfelpastete für Sie.«
»Es gibt nichts Besseres. Was haben sie denn gekocht?«
»Kaltes Brathühnchen mit Maiskuchen. Aber Sie müssen mir auch einen Gefallen tun.«
»Selbstverständlich!« Er zog sich einen Stuhl an den Tisch. »Wo ist denn Marianna?«
»Sie ist oben und lernt.« Susy ließ sich in einen Lehnstuhl sinken und nickte Anne unmerklich zu.
Anne verzog keine Miene. Sie verschwand in der Speisekammer und kam mit Schüsseln beladen zurück. »So, Doktor, essen Sie tüchtig! Und jetzt sollen Sie auch wissen, was ich von Ihnen will. Ich brauche dringend Feuerholz und bin schon tagelang hinter Jul Wherity her, der mir Holz hacken soll. Aber seit dem Kirchenessen hat kein Mensch ihn mehr gesehen. Vielleicht können Sie ihn irgendwie auftreiben.«
»Ja,
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