Susanne Barden 06 - Heiter bis bewölkt
zusammen!«
Bettina streckte das Kinn vor und hielt von nun an schweigend und tapfer den Stock fest. Mit polizeiwidriger Schnelligkeit fuhr Susy heim. Als sie schließlich in den Fahrweg zu ihrem Haus einbog, hielt die Graspresse immer noch. Bettina beklagte sich mit keinem Wort, obwohl der Druck sehr schmerzhaft sein mußte. Susy trug sie ins Haus. Die Zwillinge, die gerade aufgestanden waren, liefen aufgeregt hinter ihr her. Behutsam legte sie ihr Kind auf die Couch im Wohnzimmer. Anne fragte nicht viel, sondern holte sofort Susys Schwesterntasche von oben und wartete dann auf weitere Anweisungen. Anfangs wollte Susy die Zwillinge hinausschicken, aber als sie sah, daß es Bettina ablenkte, von ihren Brüdern bewundert zu werden, ließ sie sie im Zimmer, während sie die Graspresse durch eine Druckbandage ersetzte. Dann rief sie Bill im Krankenhaus an und erzählte ihm, was geschehen war. »Die Wunde ist ungefähr fünf Zentimeter lang und geht fast bis zum Knochen. Außerdem ist sie gezackt und voll Schmutz.«
»Ach, du lieber Himmel! Das arme Kind! Und du kannst sie nicht ins Krankenhaus bringen; die Straße hierher ist noch immer unpassierbar. Wir werden wohl eine Narkose machen müssen.«
»Ganz bestimmt. Es ist keine Kleinigkeit.«
»Ich kann unmöglich einen Narkoseapparat zu uns ’raufschleppen. Wir werden Äther nehmen müssen. Ich weiß nicht, ob Novocain ...«
»Nein, für Novocain wird es zu lange dauern. Tina war sehr brav. Oh, Bill, nie wieder fahre ich ohne meine Schwesterntasche fort!«
»Nun mach dir nicht unnötig Vorwürfe. Ich komme so schnell wie möglich.«
»Gut. Aber bring nicht etwa eine von den greulichen Masken mit. Ich werde einen Ätherzylinder zurechtbasteln. Und beeil dich bitte!«
»Ja, natürlich. Mach dir keine Sorgen. Und sag Tina, daß ich sie lieb habe.«
Susy hängte ein und ging zu Bettina zurück. »Paß auf, Tina! Wir müssen dein Bein behandeln, damit die Wunde gut heilt. Vorher gebe ich dir etwas zu riechen, davon wirst du einschlafen. Der Geruch wird dir nicht gefallen, aber dafür wirst du auch gar keine Schmerzen haben und .«
»Ach, ich bekomme eine Narkose - wie im Krankenhaus?« rief Bettina strahlend.
»Ja, genau wie im Krankenhaus«, antwortete Susy verdutzt. »Pa läßt dir übrigens sagen, daß er dich lieb hat.«
»Das weiß ich doch!«
»Was du nicht sagst!« Susy lächelte Bettina zu und lief nach oben. Sie suchte ein Stück Pappe, eine alte Windel, etwas Gaze und ein paar Sicherheitsnadeln zusammen, ging mit den Sachen ins Wohnzimmer zurück und setzte sich neben Bettina auf die Couch. Die Druckbandage begann sich rot zu färben, wie sie besorgt bemerkte. Sie rollte die Pappe zu einem Zylinder zusammen, drückte ihn etwas flach und belegte ihn außen und innen mit der Windel. Dann verstopfte sie ein Ende des Zylinders mit Gaze und steckte sie an der Pappe fest. Auf diese Weise hatte sie in kurzer Zeit den altvertrauten Ätherzylinder ihrer Lehrjahre hergestellt, den sie noch immer jeder Maske vorzog. Bettina und die Zwillinge hatten ihr neugierig zugesehen. Aber als sie Bettina fragte, ob sie ihr den Zylinder probeweise aufs Gesicht stellen solle, wehrte das Mädchen ängstlich ab.
»Das ist auch gar nicht nötig«, sagte Susy beruhigend. »Ich werde das Ding sowieso nicht dicht an deine Nase halten, sondern weit weg, so daß du alles sehen und mit mir sprechen kannst.«
»Wie heißt das Zeug, das ich einatmen muß, Mammi?«
»Es heißt Äther und sieht wie Wasser aus.«
»Äther? Du sagst doch immer, daß Pa nach Äther riecht. Den Geruch finde ich nicht schlimm.«
»Vielleicht magst du ihn zuerst doch nicht. Aber nach einer Minute hast du dich bestimmt daran gewöhnt.«
»Was wird Pa denn mit meinem Bein machen?«
Susy zögerte mit der Antwort. Keinem Menschen ist der Gedanke angenehm, daß sein Fleisch zusammengenäht werden soll. Aber sie hatte Bettina bisher immer die Wahrheit gesagt und wollte sie auch jetzt nicht belügen.
»Er wird - die Wunde - schließen, indem er ...«
»Du meinst, er wird sie nähen? Wird er einen Nylonfaden nehmen? Er sagte doch neulich .«
»Ich weiß nicht, was für einen Faden er nehmen wird.« Susy fragte sich, etwas aus der Fassung gebracht, was Bettina wohl außerdem noch von der Unterhaltung ihrer Eltern aufgeschnappt hätte, war jedoch nicht allzu begierig, es zu erfahren.
»Ich werde mal nachsehen, ob Pa kommt.« Sie ging zum Fenster und sah hinaus. Da Bill noch nicht zu sehen war, drehte sie sich
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