Susanne Barden 06 - Heiter bis bewölkt
Stimmungen?«
»Ja, aber sonst haben sie niemals eine bestimmte Ursache.«
»Nun, ich glaube, sie haben eine ganz bestimmte Ursache! Darf ich Ihnen einen Rat geben, Susy? Kaufen Sie Jerry ein Klavier.«
»Ein Klavier? Er ist doch erst vier Jahre alt.«
»Das ist ja gerade das Erstaunliche. Ich habe schon oft von solchen Fällen gehört, aber noch niemals einen miterlebt. Jerry ist außerordentlich musikalisch. Ach, das ist gar kein Ausdruck - er ist ein wahres Wunder!«
Susy starrte sie ungläubig an. »Er hat doch nur einzelne Töne mit einem Finger gespielt, nachdem Sie es ihm vorgemacht hatten. Das können fast alle Kinder.«
Fräulein Haller schüttelte den Kopf. »Nein, Susy, es war viel, viel mehr. Ein älteres Kind mit einem guten Gehör könnte dasselbe tun, wenn man ihm ein wenig Zeit ließe. Aber mit vier Jahren sofort die richtigen Töne finden - das kann nur ein geborener Musiker. Jerry hat einen untrüglichen Instinkt für den Grundton und für Akkorde in jeder Tonart. Bedenken Sie, daß er noch nie vorher ein Klavier gesehen hat! So klein er ist, hat er schon alle Harmonien im Kopf.«
Susy sah verwirrt auf Jerry hinunter. »Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Glauben Sie, daß ihn das gequält hat - daß seine Unruhe und seine Launen daher kommen?«
»Ganz bestimmt!«
»Ich bin froh, daß ich endlich die Ursache kenne. Aber was sollen wir nun mit Jerry machen?«
»Kaufen Sie ihm ein Klavier und geben Sie ihm eine Möglichkeit, sein musikalisches Talent zu entwickeln.«
Nach einigem Überlegen sagte Susy: »Ich will ihn natürlich nicht hemmen, möchte ihn aber auch nicht antreiben. Er ist noch zu klein, um stundenlang zu üben oder über theoretischen Studien zu schwitzen. Ich möchte, daß er normal und glücklich aufwächst und seine Kindheit nicht am Klavier vertrauert.«
»Das ist auch gar nicht nötig. Im Augenblick braucht er nur ein Instrument und ein wenig Anleitung, wie ich sie ihm soeben gegeben habe. Wenn er zu viel Zeit am Klavier verbringt, schicken Sie ihn einfach ins Freie.«
Susy war etwas beruhigt, konnte die Überraschung aber noch immer nicht recht fassen. Kopfschüttelnd betrachtete sie Jerrys Köpfchen mit den roten Locken. Ihr kleiner Junge sollte ein so großes Talent haben? Sie mußte sofort nach Hause fahren und mit Bill darüber sprechen.
Tee bei den Stuarts
Bill setzte sich, den tropfenden Gartenschlauch in der Hand, auf die Stufen vor der Verandatür. »Willst du mich verulken?«
»Aber nein!« Susy setzte sich neben ihn.
»Das ist ja unglaublich! Doch Fräulein Haller muß es ja wissen.« Kopfschüttelnd sah er zum Sandhaufen hinüber, wo die Kinder spielten. »Dieser verflixte kleine Bursche! Woher hat er das nur?«
»Von mir jedenfalls nicht. Aber da er so musikalisch ist, braucht er natürlich ein Klavier.«
»Muß ich nach Boston fahren und ihm einen Konzertflügel kaufen
- falls ich das nötige Kleingeld dazu auftreiben kann?«
»Es genügt wohl, wenn wir in Winslow ein kleines Klavier leihen.«
»Ich werde die Rechnungen über die Leihgebühr aufbewahren und mir das Geld von Jerry zurückgeben lassen, wenn er berühmt ist. Bekommt er jetzt einen schwarzen Samtanzug mit einem Spitzenkragen?«
»Er würde sich mit Händen und Füßen sträuben, so etwas anzuziehen.«
»Aber die Haare müssen wir ihm lang wachsen lassen. Nur gut, daß er keine Dauerwellen braucht!«
Sie lachten und beobachteten dann eine Weile schweigend ihre Kinder. Plötzlich sagte Susy: »Wenn sie alt genug sind, um zu heiraten, werden sie eine Menge von mir zu hören bekommen.«
»Zum Beispiel?«
»Daß es sehr lange dauert, bis aus einer Heirat eine gute Ehe wird, daß man einander anfangs oft auf die Nerven geht ...«
»Spielst du auf den Forellenbarsch an?«
»Ja, den meine ich!«
Wieder lachten sie, als sie an ihren ersten Ehestreit zurückdachten.
»Heute können wir einander gar nicht mehr so mißverstehen wie damals«, meinte Susy. Dann fragte sie: »Quäle ich dich eigentlich oft?«
»Das kann man wohl sagen!«
»Nimmst du mir das übel?«
»Aber nein!«
»Mit dir geht’s mir ebenso. So muß es in einer guten Ehe auch sein. Die meisten jungen Leute heiraten in einem rosigen Nebel voll
romantischer Vorstellungen von ewiger Liebe und fallen aus allen Wolken, wenn der Nebel sich verzieht.«
»Es ist nun einmal so, daß man erst nach jahrelangem Zusammenleben dahinterkommt, worin der wahre Wert der Ehe besteht.«
»Ja, es ist ein langer,
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