Susanne Barden 06 - Heiter bis bewölkt
vorgeschlagen, Sie zum Tee einzuladen.«
Susy nickte. »Das habe ich mir beinahe gedacht.«
»Ich sagte zu ihr: Frau Mona, sagte ich, wenn Sie Karla zeigen wollen, daß Sie sie gern haben, dann laden Sie ihre Freunde ein. Bitten Sie Frau Barry und ihre Kinder zum Tee und seien Sie nett zu ihnen. Das wird Karla freuen.«
»Wie lieb von Ihnen, Nell! Weiß Karla von der Einladung?«
»Nein. Sie war schon fort, als mir der Einfall kam.«
»Das war ein guter Einfall.« Einen Augenblick sah Susy schweigend auf das blinkende Eis in ihrem Teeglas. Dann sagte sie langsam: »Nell, könnten Sie Karla nicht sagen, daß ihre Mutter sie aufrichtig liebt?«
»Sie würde mir nicht glauben, Frau Barry. Frau Mona hat sie zu lange vernachlässigt. Karla ist dadurch zu sehr verletzt worden. Außerdem ist sie im falschen Alter.«
»Im falschen Alter? Ach so, Sie meinen, wenn sie jünger wäre, könnte man sie leichter lenken, und wenn sie älter wäre, würde sie ihre Mutter besser verstehen.«
»Ja, das meine ich. Mit Worten ist jetzt nicht viel bei Karla auszurichten.« Nell trank ihren Tee aus. »Aber jetzt will ich lieber zurückgehen. Wenn Frau Mona arbeitet, kann das Haus über ihrem Kopf abbrennen, ohne daß sie es bemerkt. Vielen Dank für die Erfrischung, Frau Barry!«
Langsam schlenderte Susy zum Haus zurück. Es war unerträglich schwül und drückend. Ein Gewitter lag in der Luft.
Nachmittags kam Bill mit der Nachricht heim, daß das Klavier in zwei Tagen eintreffen werde. Kaum hatte Susy ihm von Frau Stuarts Einladung erzählt, da brach das Gewitter los. Es gab ein hastiges Hin und Her. Die Fenster mußten geschlossen werden; die Kinder kamen ins Haus gestürzt; und Jonny konnte nur mit Mühe davon abgebracht werden, einen Frosch ins Zimmer zu bringen.
Über all dem Trubel hatte Susy die Einladung von Mona Stuart vergessen. Erst am nächsten Morgen erinnerte sie sich wieder daran und erzählte den Kindern, daß sie eingeladen waren. Sie freuten sich sehr - besonders Bettina, die sich schon als gute Bekannte der Künstlerin fühlte.
»Du mußt dein weißes Kleid anziehen, Mammi«, sagte sie bestimmt.
»Gut, Tina. Sonst noch irgendwelche Wünsche?«
»Nein, das ist alles.«
Mit Rücksicht auf Bettinas helles Kleidchen und die fleckenlosen marineblauen Shorts und weißen Hemden der Zwillinge gingen sie diesmal nicht durch die Wiesen, sondern nahmen den Weg über die Straße.
»Die Bilder werden dir gefallen, Mammi«, sagte Bettina.
»Du darfst nicht von den Bildern sprechen oder etwa darum bitten, sie anschauen zu dürfen, Tina.«
»Warum denn nicht? Frau Stuart hat mir die Bilder doch schon gezeigt.«
»Ja, aber vielleicht möchte sie sie heute nicht zeigen.«
Bettina kam nicht mehr dazu, etwas zu erwidern, denn schon standen sie vor der Haustür mit dem altmodischen Türklopfer.
Karla öffnete ihnen. Sie hatte ein lichtgrünes Leinenkleid an, das ihr sehr gut stand, und begrüßte ihre Freunde aufs herzlichste. Doch bald wurde sie zusehends befangener und bat Susy mit steifer Höflichkeit ins Wohnzimmer. »Bitte treten Sie ein. Mutter wird auch gleich kommen.«
Das Wohnzimmer war hell tapeziert und mit einfachen Mahagonimöbeln, ein paar Polstersesseln und einer Couch ausgestattet. Auf dem Kamin stand eine merkwürdig geformte Figur aus grünem Porzellan. Die Bilder an den Wänden stellten ein Gewirr von Linien und Farben dar, aus dem nur hin und wieder ein Bein, ein Arm oder ein Auge zu erkennen war. Unter der Zeichnung eines Tänzers entdeckte Susy den ihr bekannten Namenszug Picassos.
Jonny stellte sich vor den Kamin und starrte wie gebannt auf die grüne Figur. »Was ist denn das?« fragte er schließlich ratlos.
»Das ist eine abstrakte Keramik«, antwortete Karla. »Sie heißt >Der Kampf des Menschen<.«
»Es sieht wie grüne Spiegeleier aus«, sagte Jonny.
»Das finde ich auch. Aber Mutter mag es - weiß der Himmel warum.«
»Nett, daß Sie gekommen sind!« sagte Frau Stuart, ins Zimmer tretend. Sofort erstarrte Karla, und ihr Gesicht nahm einen unsicheren Ausdruck an.
»Vielen Dank für Ihre liebenswürdige Einladung!« Susy schüttelte der Künstlerin die Hand. »Bettina kennen Sie ja schon. Dies hier sind meine Söhne Jonny und Jerry.«
»Guten Tag«, sagten die Zwillinge im Chor.
»Guten Tag.« Frau Stuart sah sie etwas ratlos an. Nach kurzem Schweigen erinnerte sie sich an ihre gesellschaftlichen Pflichten. »Bitte nehmen Sie Platz, Frau Barry. Nell wird gleich den Tee
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