Sushi und Kartoffelbrei Ticktack
wusste, dass er sie vor aller Unbill beschützen würde. Sie konnte sich noch gut erinnern, wie die Strömung an ihrem altmodischen gestrickten Badeanzug zerrte und wie Rob sie an der Hand festhielt.
Und wie oft, wenn im Haus etwas passierte, hatte Nell automatisch ›Rob‹ geschrien, zum Beispiel damals: Daisy war gerade drei Jahre alt, als Puddles, ihre fette, faule, gestreifte Hauskatze eine lebendige Schlange fing und ins Haus schleppte. Rob war irgendwo draußen, am anderen Ende der Farm gewesen, doch irgendwie drang Nells SOS›Rob! ‹ zu ihm, und er kam angerannt, erledigte die Schlange mit einem einzigen Spatenhieb.
Der Ehemann als Ritter in schimmernder Rüstung, dachte
Daisy und betrachtete das Bild von der kleinen Prinzessin, die den gar nicht schuldbewussten Stubentiger auf den Armen hielt. Kein Wunder, dass Tom Robs Schatten manchmal als übergroß empfand.
Sorgfältig staubte sie ein Foto nach dem anderen ab und sah, wie Rob und Nell über die Jahre allmählich älter wurden. Nells Frisur, zuerst der typische, toupierte Haarknödel der Sechziger, verwandelte sich in den Siebzigern in einen frechen Gassenjungenschnitt, danach in die Föhnwelle der Achtziger, um schließlich zu den praktischen Borsten von heute zu finden. Rob dagegen blieb immer gleich, bloß dass er verwitterte wie ein Stück Holz. Auf jedem Bild, egal ob sie vor dem Christbaum posierten oder auf formelleren Fotos, wie zum Beispiel beim Gemeindeball von Bobeda, war Robs Arm um Nell gelegt, ihre Schulter unter seiner Achsel.
Während sie die beiden betrachtete, so offensichtlich verheiratet , fiel ihr ein, dass sie ja Carmen anrufen musste, die ihr das Versprechen abgenommen hatte, gleich nach ihrer Ankunft in Bobeda Bescheid zu geben. Carmen, die ganz im wiedergefundenen Eheglück schwelgte, wollte nun unbedingt, dass der Rest der Welt genauso selig war wie sie. Sie hatte geschworen, mindestens einmal pro Woche Doris abzuschleppen, damit diese sich nicht wieder auf irgendwelche fremden Männer einließ – aber auch, um sie aus ihrer einsamen Bude herauszuholen. Und sie hatte angekündigt, sie würde Doris das Messer auf die Brust setzen, was die Modedesignschulen anging, die Daisy für sie eruiert hatte. Carmen vertraute darauf, dass es Doris wachrütteln würde, und wenn es nur ein Abendkurs wäre.
Daisy nahm wieder den Staubwedel zur Hand und begann, die Bilder von sich selbst abzustauben: vom fetten Baby über die schlaksige Zehnjährige mit der Puddingfrisur bis zu ihrem Schulballfoto, auf dem sie dieses lächerliche orange Kleid trug, das Nell ihr genäht hatte. Hinter ihrem
linken Ohr steckte eine künstliche Blume, und ihre Haare, die Nell am Abend zuvor mühsam mit Stoffbändern aufgerollt hatte, ergossen sich in fetten Löckchen über ihre Schultern. Wie hatte sie sich nur schön finden können? Die junge Daisy hatte immer ein offenes, vertrauensvolles Lächeln für die Kamera übrig.
Auf dem Foto von ihrer Hochzeit sah sie sich wiederum voller Vertrauen, Zuversicht und Vorfreude, diesmal zu Tom aufblicken, der sich in seinem geliehenen Smoking gar nicht wohl zu fühlen schien. Sie hielten einander an den Händen. Beide waren berüchtigte Händchenhalter gewesen; im Freundes- und Familienkreis wurden schon Witze darüber gerissen. Es hieß, sie wären das einzige Paar, das Händchen haltend Auto fahren konnte – auch ohne Automatik. Sie saßen abends Händchen haltend vor dem Fernseher. Morgens auf dem Weg zur Arbeit saßen sie Händchen haltend im Bus. Daisy versuchte, sich zu erinnern, wann es eigentlich damit aufgehört hatte. Vielleicht entwuchs man dem Ganzen irgendwann von allein.
Wie traurig, dass sie sich nur mit einem flüchtigen Wangenkuss und einem kühlen Gruß von Tom verabschiedet hatte! Er war sichtlich erleichtert gewesen, dass sie sich nun doch entschlossen hatte, die IVF-Behandlung für diesmal abzubrechen. Wahrscheinlich freute er sich sogar, sie eine Zeit lang nicht mehr sehen zu müssen. Große Traurigkeit überkam sie, als sie die Fotos von damals mit Toms verschlossener, ausdrucksloser Miene beim Abschied auf dem Flughafen verglich. Vielleicht würde er ja gar nicht mehr da sein, wenn sie nach Sydney zurückkehrte. Und dann wäre es endgültig vorbei mit ihrer Ehe – auf diese schreckliche, zögerliche, unausgesprochene Art und Weise.
Ihren Trübsinn resolut beiseite schiebend, machte sich Daisy an die Badezimmer, die es wirklich dringend nötig hatten. In dem einen hing noch immer Robs alter,
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