Sushi und Kartoffelbrei Ticktack
hatten sich wie üblich in den zwei bequemen Wohnzimmersesseln niedergelassen, sodass Phil nur mehr die harte Schlafcouch blieb.
»Na, hast du jetzt genug von dieser albernen Idee von Clare?«, erkundigte sich June endlich und strich ihr dunkelrotes Kleid über ihren Knien glatt.
»Ganz und gar nicht«, erwiderte Isobel, die am Esstisch stand und einen halben Schokoladenkuchen anschnitt, den sie als Nachtisch zum Kaffee servieren wollte. (Gott sei Dank hatte sie erst vor ein paar Wochen einen gebacken und die Hälfte eingefroren.) »Wir ziehen das eine zweite Woche durch. Und die Kummerkastenserie in der Oktoberausgabe von Verve wird von mir beantwortet werden. Die Chefredakteurin hat mich gebeten einzuspringen.«
»Ich verstehe nicht, was das für einen Sinn haben soll. Du hast ein so hübsches Heim und zwei entzückende kleine Kinder – was hast du bei dieser Zeitschrift verloren? Wir verstehen das einfach nicht, stimmt’s, Jack?«
Jack Calloway schaute Fernsehen, obwohl die Lautstärke
so weit heruntergeschaltet war, dass man fast nichts hörte. Das gehörte auch zu den Dingen, die Isobel an Phil störend fand – dass er den Fernseher einschaltete, sobald er das Haus betrat. Auch jetzt hatte er ihn angelassen, angeblich, weil er die Spätnachrichten, die er und Jack leidenschaftlich gerne ansahen, nicht versäumen wollte.
Jack war ein großer, dünner Mann mit hängenden Schultern. Obwohl er nur drei Jahre älter als seine vitale Frau war, schien sich nun eine regelrechte Alterskluft zwischen den beiden aufgetan zu haben. Er trug eine dicke Brille, und seine dahinter liegenden Augen waren blass und müde, vielleicht von dem jahrelangen Starren auf winzige Fläschchenaufdrucke. Sein Haar war spärlich und mausgrau, ihres dagegen silbergrau und dick; sie trug es zu einem kräftigen Nackenknoten geschlungen. Mit ihrer ausladenden Figur bewegte sie sich dennoch geschmeidig und energiegeladen, während er hinter ihr herschlich wie ein ausgehungerter Kriegsgefangener. Mit dem Verkauf ihres Geschäfts hatte er offensichtlich auch seine Lebensfreude verloren und schien es nun zufrieden, langsam dahinzuschwinden wie eine alte Fotografie.
June pflegte von jeher auf ihn einzuhacken – von morgens bis abends, selbst als sie das Geschäft noch hatten. Isobel und Clare waren als Kinder dauernd zusammengezuckt, wenn sie hörten, wie ihre Mutter ihren Vater anzeterte: »Wieso hast du kein Taschentuch eingesteckt? Ich hab’s dir doch dreimal gesagt!« oder »Ich hab dir doch gesagt, dieses Hemd passt nicht zu dieser Hose. Wieso, glaubst du, hab ich das blaue rausgelegt?« Beide Schwestern hatten sich geschworen, nie einen so schwachen Mann wie ihren Vater zu heiraten oder je so ein Dragoner wie ihre Mutter zu werden. Isobel fragte sich oft, wenn sie Phil mal wieder zu irgendeiner Hausarbeit antrieb, ob sie nicht vielleicht doch in die Fußstapfen ihrer Mutter trat, so wie Psychologen die Mutter/Tochter-Entwicklung beschrieben.
»Stimmt’s Jack?«, wiederholte June herrisch und tippte ihm auf den Arm.
»Was stimmt?«, erkundigte sich Jack.
»Dass wir nicht verstehen, wieso Isobel auf einmal Clares Arbeit macht, während Clare zu Hause bleibt und die Kinder hütet. Es erscheint uns einfach unsinnig.«
»Ja«, stimmte Jack pflichtschuldigst bei.
Isobel brachte den aufgeschnittenen Kuchen und ihr eigenes Glas Wein ins Wohnzimmer. Es war schon ihr drittes am heutigen Abend, und sie war ein bisschen benebelt.
»Ich hoffe, das reicht als Nachspeise«, erklärte sie und wies mit einem Kopfnicken auf den Kuchen. »Ich hatte keine Zeit mehr, was anderes vorzubereiten.«
June nahm sich ein Stück. »Und was Clare sich dabei denkt, ist uns ein Rätsel. Es geht ihr doch gut bei dieser Zeitschrift, der reine Traumjob. Wieso sie ihn jetzt so leichtsinnig aufs Spiel setzt, ist uns schleierhaft.«
Phil sprang in die Bresche. »Aber June, dieser Rollentausch ist doch ein Teil von Clares Job. Sie schreibt darüber für die Zeitschrift. Und Iso wird tatsächlich einen Beitrag in der nächsten Ausgabe haben. Das ist doch großartig für sie und meiner Meinung nach eine tolle Leistung.«
Isobel setzte sich neben Phil auf die Couch und nahm einen Schluck von ihrem Wein. »Das sollte dir doch gefallen, Mum. Du bist doch diejenige, die ständig predigt, eine Frau sollte auch ihre Karriere haben. Du selbst hast ja diesbezüglich sehr viel Mühe investiert.«
»Das war keine Karriere«, korrigierte June. »Das war ein Familienbetrieb,
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