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Suter, Martin

Suter, Martin

Titel: Suter, Martin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allmen und die Libellen
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Allmen, um ihn so zu einer Erklärung zu zwingen. Aber
Allmen widerstand der Versuchung, sich zu rechtfertigen, und schwieg. Dafür
war Kellermann umso gesprächiger: »Wann haben Sie das letzte Mal den Augendruck
gemessen?«
    »Den Augendruck?« Allmen hatte noch nie den Augendruck
gemessen, wusste weder, dass Augen unter Druck stehen, noch, dass man diesen
messen kann - und schon gar nicht, was es für Folgen hatte, wenn er entweder zu
hoch oder zu niedrig war.
    »Sie sind doch über vierzig«, stellte Kellermann fest.
    Allmen nickte.
    »Dann sollten Sie den Augendruck messen. Just
to be on the safe side.« Kellermanns lange verstorbene
Frau war Engländerin gewesen. Wie zur Erinnerung an sie streute er immer
wieder englische Sätze in seine Konversation, je mehr er getrunken hatte, desto
öfter. Es gab Abende, da sprach er fast nur englisch.
    »Sicher wovor?«, erkundigte sich Allmen besorgt. Er
neigte zu einer gewissen Hypochondrie und erschrak über jede neue Front, die
sich im Kampf um seine Gesundheit eröffnete.
    »Glaukom«, murmelte der alte Augenarzt.
    »Was glauben Sie kaum?« Kellermanns Aussprache war um
diese Zeit bereits ein wenig verwaschen.
    »Glaukom. Grüner Star. Gesichtsfeldverlust.«
    Allmen berührte instinktiv das rechte Augenlid.
    »Das spüren Sie nicht. Wenn Sie es merken, ist es zu spät.
Das Einzige, was hilft: Ab vierzig einmal jährlich Augendruck und
Sehnervenkopf.« Kehermann leerte seinen mit viel zimmerwarmem Wasser verdünnten
Red Label und machte dem Barmann mit dem leeren Glas ein Zeichen. »Glauben Sie
einem alten Mann.«
    Allmen sah in Kellermanns gerötete, wässrige traurige
Augen. »Ist die Untersuchung schmerzhaft, ich meine: unangenehm?«
    »Angenehmer als der Tunnelblick.« Kellermann nahm den
frischen Whisky entgegen und füllte das Glas bis an den Rand mit dem Krüglein
Wasser aus dem Wasserhahn, das ihm der Barmann zusammen mit dem Whisky gebracht
hatte.
    Biondi, der neben Kunz saß, beugte sich jetzt über die Bar
und wandte sich, vorbei an seinem Sitznachbarn, dem vom Mantel besetzten
Barhocker und Allmen, an Kellermann. »Ein Kunde von mir hat den Tunnelblick.
Golfpro. Neununddreißig. Topfit.«
    Kellermann suchte für seine Antwort den Blickkontakt mit
Biondi hinter den drei Hockern und lehnte sich gefährlich weit zurück: »Muss
nicht unbedingt der Augendruck sein. Kann sich auch um eine gestörte
Sauerstoffversorgung des Sehnervenkopfs handeln. Ich sage: kann. Muss aber
nicht.« Kellermann zog sich an der goldenen Reling der Bar wieder in die
ursprüngliche Position, trank einen Schluck und wiederholte: »Kann. Muss aber
nicht.«
    Allmen und die drei Herren hatten über dem Gespräch den
Auftritt von La Joelle verpasst. Jetzt stand sie in einer Wolke schweren
Parfüms plötzlich neben Allmen und wartete darauf, dass er ihr aus dem -
diesmal petrolblauen - Nerz half.
    »Überraschung«, lachte sie.
    »Und was für eine erfreuliche«, antwortete Allmen galant,
während er seinen Mantel vom Barhocker nahm und ihr hinaufhalf.
    »Wir gehen nicht ins Promenade.«
    »Ach, ich habe aber reserviert.« Allmen stand unentschlossen
mit den beiden Mänteln im Arm vor ihr.
    »Und ich habe annulliert. Darf ich eine Bloody Mary haben?
Oder nein, lieber einen Manhattan, Bloody Marys machen so satt. Das wäre
schade.«
    Ein Barkellner befreite Allmen aus seiner lakaienhaften
Rolle und nahm ihm die Mäntel ab. Allmen setzte sich neben Joelle und winkte
dem Barmann.
    »Warst du schon mal im shaparoa?«
    Das shaparoa war das neueste und angesagteste Restaurant
der Stadt. Und mit großem Abstand das teuerste. Seine Eröffnung war in die Zeit
nach Allmens finanzieller Hochblüte gefallen. Er war noch nie dort gewesen.
»Nicht so mein Stil«, gab er vage zur Antwort.
    »Ach, sei nicht so spießig.« Der Barmann brachte den
Manhattan. Sie trank ihn in einem Zug, fischte die Maraschino-Kirsche an ihrem
Stiel heraus und ließ sie ein wenig baumeln. »Ich habe für uns einen Tisch
reserviert.«
    Allmen erschrak. »Ich dachte, das shaparoa sei auf Monate
ausgebucht.«
    Joelle legte den Kopf in den Nacken, hielt die Kirsche in
die Höhe, öffnete die roten Lippen und versenkte die Frucht langsam im Mund.
Noch bevor sie geschluckt hatte, sagte sie: »Nicht für alle.«
    Nach einem weiteren Manhattan unterschrieb Allmen die
Rechnung und half Joelle in den Mantel. Kunz, Kellermann und Biondi sahen ihm
zu. Er konnte nicht sagen, ob neidisch oder schadenfroh.
     
    Das Personal des shaparoa war

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