Suter, Martin
in den großen Salon
führte, klangen Gespräche und Gelächter. Joelle war jetzt sehr unsicher auf
den Beinen, Allmen hoffte, dass ihm Boris behilflich sein würde.
Dieser führte sie an der Treppe vorbei zu einer
Nussbaumtür, hinter der sich ein Lift verbarg. »Erste Etage«, bemerkte er
gelangweilt und schloss die Tür.
Im Schlafzimmer brannten die beiden gedimmten Tischlampen
mit den wuchtigen Seidenschirmen. Die Bettdecke war beidseits zurückgeschlagen,
auf Joelies Seite war etwas Seidenes, Spitzenbesetztes drapiert. Der Raum sah
aus wie ein für die Nacht zurechtgemachtes Zimmer eines Fünfsternehotels.
Noch immer war nichts von Joelles sexuellem Heißhunger vom
letzten Mal zu spüren. Sie winkte ihm zu wie ein kleines Kind und verschwand
durch die Badezimmertür. »Bis gleich«, hörte er sie noch sagen, ehe sie die Tür
hinter sich schloss. Er hörte, wie sie den Schlüssel drehte.
Allmen setzte sich in einen Polstersessel, der ihn an das
Mobiliar von »La Patisserie« im shaparoa erinnerte. Er war müde und hatte viel
zu viel getrunken. Und er hatte in den letzten paar Stunden - der Gedanke
blitzte immer wieder auf, so entschlossen er ihn auch verdrängte -
schätzungsweise die Hälfte des Geldes, das er Dörig schuldete, verprasst.
Schlimmer: Verprassen lassen.
Der tauchte immer wieder zwischen den aus allen
Lebensbereichen aufgebotenen Fühlgedanken auf, die seinen Kopf für Dörig
unzugänglich machen sollten. Vierschrötig, kurzhalsig, rothändig drängte er
sich dazwischen, wie ein Rüpel in einen vollbesetzten Lift.
Vielleicht könnte er ihn mit der Hälfte abfinden.
Falls er überhaupt noch über so viel verfügte.
Nachzählen mochte er nicht, damit würde er den Kerl
geradezu einladen, sich in seinem Hirn breitzumachen.
Primitivlinge wie Dörig ließen sich abspeisen. Sei es mit
der Hälfte, sei es mit einem Drittel. Wenn die Geld sahen, schafften sie es
nicht, nein zu sagen. Lieber den Spatz in der Hand. Solche Leute waren das.
Einziger Nachteil: Er würde mit ihm sprechen müssen. Mehr
noch: verhandeln. Er könnte ihm nicht einfach die Scheine in die Hand drücken
und ihn wegwedeln wie eine lästige Fliege.
Aber gewalttätig würde der nicht werden. Typen wie er
wurden nicht gewalttätig gegen jemanden, der ihnen Geld gab und noch mehr geben
würde. Auch wenn er es ihnen schuldete. Würden die nicht. Oder würden die doch?
Allmen musste sich eingestehen, dass er keine Erfahrung
mit diesem Menschenschlag hatte.
Durch die Badezimmertür hörte er Geräusche.
Wasserrauschen, Klirren, Schritte, das Surren einer elektrischen Zahnbürste.
Und durch die Schlafzimmertür war ab und zu von unten das ferne Anschwellen
eines Gelächters zu vernehmen.
Was tat sie so lange dort drin? Machte sie sich frisch?
Machte sie sich schön? Zog sie etwas Verführerisches an? Das war etwas, wofür Allmen
nicht ganz unempfänglich war. Nicht Reizwäsche, das war ihm zu ordinär. Aber
Dessous. Lingerie. Da guckte er nicht weg. Selbst wenn eine Frau sie trug, die
ihm auf die Nerven ging.
Ging sie ihm überhaupt auf die Nerven? Nicht nur.
Er war schon wieder dabei, sie sich liebenswert zu machen.
Oder zumindest passabel.
Die Tür ging auf, und Joelle kam herein. Sie trug einen zu
großen Männerpyjama und war abgeschminkt. Matt lächelte sie ihm zu, legte sich
ins Bett und tätschelte das Kopfkissen neben sich. »Komm auch bald.«
Dann löschte sie das Licht auf ihrer Seite.
In dem schwarzen Badezimmer herrschte das gleiche Durcheinander
wie beim letzten Mal. Die Kleider, die sie getragen hatte, lagen verstreut am
Boden, auf Hockern und im Jacuzzi, einträchtig neben nassen Frottiertüchern
und Waschlappen. Der Papierkorb war umringt von benutzten Abschminktüchern,
die ihr Ziel verfehlt hatten. Die elektrische Zahnbürste lag im Waschbecken,
die offene Zahnpastatube auf der Glasablage, ein langer Streifen Zahnpasta
hing an ihrer Öffnung.
Allmen suchte nach einem zweiten Zahnbürstenaufsatz -
ganz so liebenswert hatte er sich Joelle doch noch nicht gemacht, dass er ihren
benutzen wollte - und fand einen in der Ladestation.
Während er so vor dem Waschbecken stand, die vibrierende
Zahnbürste im Mund und den Blick abgewandt, um sein Spiegelbild zu meiden,
fielen seine Augen auf eine Pihenfolie, in der zwei Tabletten fehlten. Allmen
nahm sie vom Waschbeckenrand und drehte sie um. »Rohypnol, i mg« stand darauf.
Dort, wo die Schlafpillen gelegen hatten, stand ein Glas
mit einem Rest Wasser. Am
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