Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Suter, Martin

Suter, Martin

Titel: Suter, Martin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allmen und die Libellen
Vom Netzwerk:
gekleidet wie die Besatzung
des Raumschiffs Enterprise. Overalls aus glänzender Hightech-Kunstfaser mit
Stehkragen und Klettverschlüssen, für jede Hierarchie- und Funktionsstufe in einer
anderen Farbe, und farblich darauf abgestimmte Sneakers. Alle trugen Headsets,
über die sie ständig mit der Küche und dem Chef de Service in Verbindung
standen.
    Dieser war ein großer, kahlrasierter Mann, unter dessen
enganliegendem Overall mit viel Elastan sich ein Körper abzeichnete, dem man
ansah, dass ihm sein Besitzer viele Stunden im Kraftraum zumutete. Seine
Augenbrauen waren sorgfältig getrimmt und zeigten nach oben, und es hätte Allmen
nicht erstaunt, wenn seine Ohrmuscheln spitz zugelaufen wären.
    Er empfing Joelle wie eine alte Bekannte und nannte sie
»Jojo«. Sie nannte ihn »Vito« und stellte Allmen als »John« vor. »Fast wie ich,
aber nur einmal Jo.« Dabei legte sie besitzergreifend den Arm um Allmen.
    Das shaparoa besaß einen Raum für jeden Gang, was die
Eigenwerbung als »revolutionäres gastronomisches Konzept« bezeichnete. Vito
geleitete sie in das »Amuse-Bouche«.
    Der Raum war dekoriert mit Spielsachen, kleinen
Clownfiguren, Musikdosen, Karikaturen. Ballons schwebten an der Decke, und die
Kissen auf den Stühlen waren Gesichter mit amüsiertem Ausdruck.
    »Wie immer?«, erkundigte sich Vito.
    Joelle warf Allmen einen Blick zu. »Wenn ich darf?«
    Er nickte, und kurz darauf öffnete der Sommelier eine
Flasche Taittinger, Comtes de Champagne, Rose 2002 zu vierhundertzehn Franken die Flasche.
    Es war nicht das Essen, das Allmen das Genick brach - die
kulinarische Wanderung durch die neun thematisch dekorierten Räume kostete ihn
knapp dreihundertfünfzig Franken pro Person -, es waren die Getränke. Als wollte
sie ihres Gastgebers Bonität testen, bestellte sie die Highlights der Weinkarte.
Noch bevor sie das »Amuse-Bouche« verließen, hatte sie die zweite Flasche
Champagner bringen lassen und kaum angebrochen zurückgelassen.
    Im »La Mer«, einem auf drei Seiten von Aquarien voller
Zierfische eingefassten Raum, ließ sie sich bereits die zweite Flasche
Chevalier-Montrachet, Grand Cru »Les Demoisehes«, Louis Latour 1997 zu
sechshundertachtzig Franken bringen.
    Durch die übrigen Räume ließ sie sich von einem Burgunder
begleiten, dem La Täche, Domaine de la Romanee-Conti 1995 zu tausendvierhundert
Franken die Flasche.
    Als sie satt und, was Joelle anging, sehr betrunken im
»La Patisserie«, einem ganz in Rosa, Türkis und Silber gehaltenen Salon, die
Rechnung bestellten, belief sich diese auf fünftausendsechshundertdreiundsiebzig
Franken.
    »Ups!«, machte Joelle und lächelte Allmen schelmisch an.
    Man kannte ihn hier nicht, er war nicht kreditwürdig. Es
blieb ihm nichts übrig, als nachlässig in die Brusttasche zu greifen und den
Betrag plus fünfhundert Franken Trinkgeld auf das rosa Tischtuch zu blättern.
    Joelle fuhr ihm mit der nicht mehr ganz zielsicheren Hand
durchs Haar und schnurrte: »Männer, die noch mit richtigem Geld bezahlen, sind so sexy.«
     
    Der Chauffeur hatte jetzt einen Namen: Boris. Er war geübt
im Umgang mit seiner Chefin in diesem Stadium und verstaute sie sanft und
sorgfältig im Fond. Dann öffnete er Allmen die andere Tür und forderte ihn mit
einer Kopfbewegung zum Einsteigen auf. Er tat es vorwurfsvoll, als wäre ihr
Begleiter für ihren Zustand verantwortlich.
    Das Resultat der Diskussion über das Fahrziel - Joelle
wollte »your place«, Allmen natürlich nicht - wartete Boris nicht ab. Er fuhr
unbeirrt Richtung See-Villa.
    Joelle hielt sich diesmal auf der Fahrt zurück. Vielleicht
lag es an ihrem Pegel, vielleicht aber auch daran, dass sie Allmen inzwischen
als etwas Festes betrachtete, das man nicht in einer einzigen Nacht vernaschen
musste. Sie kuschelte sich an ihn, schlief aber nicht ein.
    Das Haus war hell erleuchtet. Vor der Einfahrt waren ein
paar Autos der Luxusklasse geparkt, alle in der Automodefarbe dieses Herbstes:
schwarz.
    »Du hast doch gesagt, du seist allein zu Hause?« Allmen
klang besorgt.
    »Ich habe nur gesagt, mein Vater sei nicht hier.«
    »Und wer sind all die Leute?«
    Joelle hob die Schultern. »Keine Ahnung.«
    »Das Haus ist voller Leute, und du weißt nicht, wer sie
sind?«
    »Freunde meines Bruders.«
    »Ach so, dein Bruder wohnt auch hier?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Er macht hier nur manchmal
Partys.«
    Boris begleitete sie in die Eingangshalle. Die Garderobe
hing voller Mäntel, und aus dem breiten Korridor, der

Weitere Kostenlose Bücher