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Suter, Martin

Suter, Martin

Titel: Suter, Martin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allmen und die Libellen
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das Haus mit leeren Händen verlassen hatte.
    Es war kurz nach halb elf. Er musste etwas unternehmen,
um ihren Aufwachprozess zu beschleunigen.
    Allmen ging zum Fenster und zog behutsam die Vorhänge
zurück. Das Sonnenlicht leuchtete das Zimmer jetzt unbarmherzig aus. Aber
Joelle machte keine Anstalten, aufzuwachen.
    Vielleicht sollte er ihr Frühstück bringen. Stets ein
akzeptabler Vorwand, jemanden aufzuwecken.
    Er trat auf den Korridor. Der Staubsauger war schon seit
einiger Zeit verstummt, aber aus dem Erdgeschoss waren Geräusche zu vernehmen.
Er ging die Treppe hinunter.
    Die Halle war aufgeräumt und gelüftet. Im Korridor, der
zu den Gesellschaftsräumen führte, standen ein Putzwagen und ein Staubsauger. Allmen
ging auf die Tür am Ende des Korridors zu, wo er die Küche vermutete.
    Es war das Office. Von hier aus wurde das Essen, das mit
dem Speiseaufzug aus der Küche kam, serviert.
    Der Raum war leer. Aber die Tür zum Esszimmer stand
offen. Allmen betrat es.
    Der Tisch war für zwei Personen zum Frühstück gedeckt. Ein
drittes Gedeck war benutzt. Die Angestellte vom letzten Mal, eine Frau in
mittleren Jahren in einem grau-weiß gestreiften Arbeitskittel, war dabei,
Teller, Besteck und Essensreste auf ein Tablett zu räumen. Jetzt hielt sie inne
und sah ihn an.
    »Guten Morgen«, wünschte Allmen.
    Die Frau nickte und lächelte ein wenig.
    »Glauben Sie... Ich würde Frau Hirt gerne Frühstück aufs
Zimmer bringen. Glauben Sie, Sie könnten mir ein paar Sachen zusammenstellen,
die sie gerne isst?«
    Wieder nickte die Angestellte und fuhr fort, das Gedeck
abzuräumen. Sie brachte das Tablett ins Office. Allmen folgte ihr. Sie nahm
ein frisches aus einem Gestell, ging zurück zum Tisch und sammelte mit einem
Tischroller die Krümel auf. Wieder war Allmen ihr gefolgt und sah jetzt zu, wie
sie eines der Gedecke auf das neue Tablett räumte.
    »Kaffee?«, fragte sie. Sie hatte einen Akzent, den Allmen
mit Hilfe dieses einen Wortes nicht einordnen konnte. Er zögerte mit der
Antwort. »Während ich Frühstück für Frau Hirt vorbereite?«
    Polin, Tschechin, diese Gegend.
    »Haben Sie auch Espresso?«
    »Doppelt?«
    »Doppelt.« Sah er so mitgenommen aus?
    Sie deutete auf den Stuhl vor dem übriggebliebenen
Gedeck. Er setzte sich und wartete. Nach kurzer Zeit brachte sie den Espresso
und eine Tageszeitung.
    Einzig am Geruch war dem Raum noch anzumerken, dass darin
vor ein paar Stunden eine große Gesellschaft stattgefunden hatte. Ein ganz
diskreter Duft von Zigarre hing in der Luft. Vermischt mit einem herben,
ledernen Eau de Toilette.
    Allmen überflog die Titelseite der Zeitung und blätterte
dann auf Seite drei, zu einem Artikel, der in einem Aufmacher angekündigt war.
    Von seinem Platz aus sah er durch die doppelflügelige Tür
auf den Korridor hinaus. Und er nahm jetzt aus dem Augenwinkel wahr, dass dort
eine Gestalt vorbeiging.
    Als er den Blick hob, war sie schon verschwunden, aber
noch bevor er sich wieder der Zeitung zuwenden konnte, kam sie zurück. Als
hätte auch sie im Vorbeigehen den Mann am Tisch bemerkt und wollte sich
versichern, dass sie sich nicht getäuscht hatte.
    Die Gestalt war Klaus Hirt. Er stand im Profil, halb
verdeckt vom Türrahmen, den Kopf Allmen zugewandt, und brummte etwas, das wie
ein Gruß klang.
    Und war verschwunden. Der Zigarrenduft war nun stärker als
zuvor.
    Jetzt erst grüßte Allmen zurück. Sofern man das erschrockene
Räuspern, das er zu der leeren Türöffnung schickte, als Gruß bezeichnen
konnte.
    Hirt war also hier! Es war Hirt gewesen, der in der
Glassammlung die Zigarre geraucht hatte. Es waren Hirts Schritte gewesen, die
er in der Nacht im vermeintlich leeren Haus gehört hatte. Wie leicht hätte er
ihm schon früher begegnen können. Wie leicht hätte er ihm in der Glassammlung
in die Arme laufen können. Wie leicht hätte er von ihm auf frischer Tat ertappt
werden können.
    Von den Handtuchballen in der Thujahecke würde Allmen
jedenfalls die Finger lassen.
    Die Hausangestellte kam mit einem Tablett. Darauf
standen: zwei Espressi, ein Glas mit einer grünen Flüssigkeit, ein Glas Wasser
auf einem Untersatz mit zwei Alka-Seltzer und eine halbe Flasche Champagner.
»Das Frühstück für Frau Hirt.« Sie sagte es, ohne sich etwas anmerken zu
lassen.
    Allmen versuchte, es mit der gleichen Selbstverständlichkeit
entgegenzunehmen.
     
    Als er das Zimmer betrat, war das Bett leer. Aus der
angelehnten Badezimmertür drangen Geräusche, unschöne Geräusche:

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