Suter, Martin
Husten,
Räuspern, Spucken, Stöhnen, Fluchen.
Allmen stellte das Tablett auf den Nachttisch und
überlegte, wie er auf sich aufmerksam machen sollte.
In diesem Moment flog die Tür auf, und Joelle kam herein.
Sie war nackt, was ihr - fuhr es ihm durch den Kopf - im gedämpften Seidenlicht
jener Nacht besser gestanden hatte als in der grellen Beleuchtung dieses
Föhnvormittags.
Sie brauchte ein paar Sekunden, bis sie ihn bemerkte. »Shit!
Ich dachte, du wärst gegangen.« Sie sah an sich hinunter, sandte ihm einen
hasserfüllten Blick und eilte zurück ins Bad.
Als sie zehn Minuten später zurückkam, trug sie
Lippenstift, Eyeliner, etwas Make-up, ein schwarzes Handtuch als Turban und
eines als Sarong.
Jetzt erst sah sie das Tablett. Sie steuerte darauf zu und
schälte die beiden Alka-Seltzer ins Wasserglas. Fasziniert beobachteten sie
beide, wie die Tabletten im Aufruhr ihrer Kohlensäure hüpften.
»Du rettest mein Leben«, murmelte sie und tätschelte
seine Wange.
Das Mittel hatte sich aufgelöst bis auf einen kleinen
Bodensatz aus weißen Krümeln. Sie setzte das Glas an und leerte es routiniert
in einem Zug. Dann nahm sie das Glas mit der grasgrünen Flüssigkeit, trank es
zur Hälfte aus und sagte: »Gerstengrassaft. Entgiftet den Körper und stärkt das
Immunsystem.« Sie setzte sich auf den Bettrand und trank den ersten Espresso.
»Ich habe deinen Vater gesehen.«
»Ach, der ist hier?« Es klang auf unbeteiligte Art
überrascht.
»Wusstest du das nicht?«
»Bei meinem Vater weiß man nie so genau, wo er sich gerade
aufhält. Komm, setz dich. Ich opfere meinen zweiten Espresso.«
»Danke, ich hatte meinen schon.« Allmen setzte sich neben
sie. »Ich muss bald gehen.«
»Machst du mir vorher noch dieses Baby auf?« Das war
alles, was sie zu seiner Ankündigung zu sagen hatte.
Allmen entkorkte die kleine Champagnerflasche und schenkte
den Kelch voll.
»Zuerst den zweiten Espresso.« Sie hielt ihm die leere
Tasse hin wie einem Kellner.
Er tauschte sie gegen die volle, deren brauner Schaum
schon einen Kreis der schwarzen Flüssigkeit freigab.
Sie trank die Tasse leer, verzog das Gesicht und hielt sie
ihm hin. Er nahm sie ihr ab und gab ihr das Champagnerglas in die immer noch
ausgestreckte Hand.
Joelle trank es halb leer und stellte es auf den
Nachttisch. Dann reckte sie die Arme in die Luft und streckte sich gähnend.
»Boris fährt dich. Wann immer du willst.«
»Dann jetzt«, antwortete Allmen knapp.
Sie ging zum Telefon, wählte eine kurze Nummer und sagte:
»Ja, Boris, Herr von Allmen wäre dann so weit. Danke.« Sie legte auf und
lächelte ihn an. »Er erwartet dich in der Einfahrt.«
Joelle bot ihm die linke Wange an und legte eine Hand um
seinen Nacken. Mit der anderen tätschelte sie wieder seine Wange auf die gleiche
gönnerhafte Weise. »Danke«, hauchte sie, »war schön.«
Allmen ging die Treppe hinunter und fragte sich, weshalb
sie ihn so sang- und klanglos abserviert hatte. Er gab sich mit der Erklärung
zufrieden, dass er zu viel von ihr gesehen hatte. Zu viel Wahrheit bei zu viel
Licht.
Boris erwartete ihn mit schlecht verhohlenem Spott. Als
sie die Ausfahrt hinter sich gelassen hatten, flüsterte Allmen: »Auf
Nimmerwiedersehen, Jojo.«
Um die Mittagszeit drückte Allmen auf seine Klingel.
»Ja?«, sagte Carlos' misstrauische Stimme.
»Soy yo«, antwortete Allmen.
»Don John...«, hörte er Carlos noch sagen, dann brach die
Verbindung ab, und der Summer ertönte. Allmen ging das Stück Weg, das zur Villa
führte, und bog ab in den kleinen Pfad zum Gärtnerhaus.
Die Tür stand wie immer offen, und Carlos wartete im
Vestibül. Allmen sah ihm sofort an, dass etwas nicht stimmte. Ohne seine
Begrüßung abzuwarten sagte er: »Don John, le
esperan, Sie werden erwartet.«
»Von wem?«
»Un senor.« Er deutete mit dem Kinn zum Wohnraum.
Noch ehe Allmen ihn gesehen hatte, wusste er, wer ihn
erwartete. Er stand in der halboffenen Tür und öffnete sie nun ganz. Ohne ein
Wort streckte er ihm die Handfläche entgegen. Als Allmen nicht gleich
reagierte, wippte er mit ihr fordernd auf und ab.
Allmen brachte es fertig, sich von Carlos aus dem Mantel
helfen zu lassen, bevor er in die Brusttasche griff, um seine übriggebliebenen
Scheine herauszufischen. Er zählte Dörig fünf Tausender auf die Pranke.
Dörig blieb stehen wie eine Salzsäule und wartete auf den
Rest.
Allmen suchte seine Taschen ab, fand noch zwei Hunderter
und einen Fünfziger und legte sie zu den großen
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