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Suter, Martin

Suter, Martin

Titel: Suter, Martin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allmen und die Libellen
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Allmen sah
ihn von der Seite an. »Sie fürchten, sie könnten gestohlen werden?«
    »Sie sehen wertvoll aus.«
    »Sie sind wertvoll.«
    »Und der ganze Raum ist aus Glas.«
    »Was ist Ihre Anregung, Carlos?«
    »Ich bringe sie an einen sicheren Ort.«
    »An welchen?«
    »Wenn Sie sie brauchen, Don John, dann hole ich sie.«
    Allmen überlegte. »Einverstanden, Carlos. Ich melde mich,
wenn ich sie brauche.«
     
    Es dämmerte schon früh an diesem Nachmittag. Die
durchlässige Nebeldecke hatte sich im Laufe des Tages zu einem kompakten Deckel
verfestigt. Auch kalt war es plötzlich geworden. Allmen hatte das Haus in einem
Regenmantel verlassen und war noch einmal zurückgekehrt. Jetzt trug er Wollmantel,
Schal und Handschuhe.
    In den Schaufenstern der Läden brannte bereits Licht, und
auch die Sensoren der Straßenbeleuchtung hatten diese auf Nachtbetrieb
geschaltet.
    Nur Les Trouvailles war dunkel. Die Schaltautomatik war
wohl noch auf einen späteren Zeitpunkt eingestellt. Aber weshalb hatte Jack
Tanner nicht selbst Licht gemacht? Er musste da sein, Allmen hatte sich
angemeldet.
    Er drückte auf den Klingelknopf und hörte im Ladeninnern
die Glocke schrillen. Aber die Schritte, die normalerweise unmittelbar danach
das Parkett knarren ließen, blieben aus.
    Allmen ließ etwas Zeit verstreichen, um nicht ungeduldig
zu erscheinen. Dann klingelte er nochmals.
    Wieder rührte sich nichts in Les Trouvailles.
    Jetzt erst fiel ihm auf, dass die Tür nicht, wie sonst
immer, verschlossen, sondern nur angelehnt war. Er konnte sie, ohne auf die
Falle zu drücken, aufstoßen.
    Er tat es und rief: »Hallo? Jack? Bist du da?«
    Es blieb still.
    Allmen wollte die Tür zudrücken, aber sie fiel nicht ins
Schloss. Jetzt erinnerte er sich, dass Tanner sie immer ein wenig anheben
musste, damit sie zuschnappte. Das tat er jetzt. Mit Erfolg.
    Es roch anders. Der Geruch nach alten Möbeln und
Bohnerwachs war zwar immer noch da, aber es hatte sich eine andere Note
daruntergemischt. Etwas, das Allmen kannte, aber nicht benennen konnte.
    »Jack? Bist du da?«
    Alles blieb still. Nur das Knarren des Parketts war zu
hören, als Allmen auf den hinteren Raum zuging.
    Dort wurde der fremde Duft intensiver. Er kam aus Tanners
kleinem Büro, dessen Tür halb offenstand. Allmen klopfte höflich an den
Türrahmen. »Jack?«
    Er ging hinein.
    Jack saß mit dem Rücken zum Eingang auf General Guisans
Drehstuhl. Sein Kopf war nach hinten gekippt, wie bei einem Schläfer im Zug.
    »Jack?«
    Plötzlich wusste Allmen, woran ihn der Geruch erinnerte:
An die Jagdausflüge, zu denen ihn sein Vater mitgeschleppt hatte, als er noch
klein war. So roch es, wenn er seine Flinte abgefeuert hatte und der kleine Fritz
ein weiteres Häschen, Reh oder Rebhuhn beweinen musste.
    Er ging ein paar Schritte um den Schreibtisch herum. Weit
genug, um zu sehen, dass Jack Tanner ein Stück von der Stirn fehlte und sein
Gesicht eine Fratze aus gestocktem Blut war, den Mund weit aufgerissen.
    Allmen floh. Aus dem Büro, durchs Lager, durch den
Ausstellungsraum auf die Straße. Erst dort wurde ihm klar, was für eine
Dummheit er gerade machte. Er musste natürlich hierbleiben und die Polizei
rufen.
    Er wollte zurück in den Laden. Aber er hatte die Tür
instinktiv so geschlossen, wie er es bei Tanner gesehen hatte. Sie war ins
Schloss gefallen und ließ sich von außen nicht mehr öffnen. Er drückte ein
paarmal auf die Klinke. Aussichtslos, sie ließ sich nicht bewegen.
    Er wollte sein Handy hervorholen, um die Polizei zu
rufen. Dabei kam ihm seine Mappe in die Quere.
    Seine Mappe! Mit den Fotos von fünf geklauten
Galle-Schalen! Und damit wollte er die Polizei empfangen?
    »Haben Sie schon geklingelt?«, fragte eine Stimme hinter
ihm.
    Allmen erschrak. Eine ältere Frau mit einer Einkaufstasche
sah ihn freundlich an.
    Allmen nickte. »Schon mehrmals.«
    »Dann ist Herr Tanner nicht hier. Kommt off vor. Haben Sie
einen Termin?«
    »Ach, das ist hier mit Termin?«
    »Die meisten machen einen. Sonst... Sie sehen ja.«
    »Danke für den Tipp.« Allmen wandte sich zum Gehen.
    »Die Nummer haben Sie?«
    »Ahm.«
    »Schreiben Sie sie besser ab.« Die Frau deutete auf die
Glasscheibe der Tür. Dort war eine Visitenkarte befestigt.
    Allmen zog die Handschuhe aus. Erst jetzt wurde ihm
bewusst, dass er die ganze Zeit Handschuhe getragen hatte. Er nahm
Kugelschreiber und Notizbuch heraus und notierte sich die Nummer.
    Die Frau nickte befriedigt, ging zum nächsten Hauseingang
und klaubte

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