Suzanna
unklug und falsch sein, ich wartete jeden Nachmittag auf sie. An den Tagen, an denen sie nicht zu den Klippen kam, starrte ich zu den Türmen von The Towers hinauf und sehnte mich nach der Frau eines anderen Mannes in einer Weise, zu der ich kein Recht hatte. An den Tagen, an denen sie zu mir kam, verspürte ich eine unvergleichliche Freude.
Anfangs blieb unsere Unterhaltung höflich und distanziert. Wetter, unwichtiges Gerede aus dem Dorf, Kunst und Literatur. Später war sie entspannter. Sie sprach von ihren Kindern, und ich lernte sie durch Bianca kennen. Das kleine Mädchen, Colleen, das hübsche Kleider liebte und sich nach einem Pony sehnte. Klein Ethan, der nur Abenteuer suchen wollte. Und den kleinen Sean, der gerade das Laufen lernte.
Die Kinder waren ihr Leben. Sie sprach selten von den Partys, den Bällen und Gesellschaften, die sie fast jeden Abend besuchte. Von dem Mann, den sie geheiratet hatte, sprach sie überhaupt nicht.
Ich gebe zu, dass ich über ihn nachgedacht habe. Natürlich war allgemein bekannt, dass Fergus Calhoun ein ehrgeiziger und wohlhabender Mann war, der ein paar Dollar in ein Imperium verwandelt hatte. Doch das interessierte mich nicht.
Es war der Privatmann, der mich verfolgte. Der Mann, der das Recht besaß, Bianca seine Frau zu nennen. Der Mann, der nachts neben ihr lag, der sie berührte.
Ich war bereits in sie verliebt.
Es wäre für mich am besten gewesen, an einem anderen Ort zu malen. Doch ich konnte es nicht. Ich ging zurück, immer und immer wieder. Ich dachte an sie und wartete auf sie.
Sie war einverstanden, sich von mir malen zu lassen. Ich begann, wie das ein Künstler muss, nur ihr Inneres zu sehen. Unter ihrer Schönheit, ihrer Haltung und ihrem Auftreten verbarg sich eine verzweifelt unglückliche Frau. Ich wollte sie in meine Arme nehmen, damit sie mir erzählte, woher dieser traurige Blick in ihren Augen kam. Doch ich malte sie bloß. Zu mehr hatte ich kein Recht.
Ich war nie ein geduldiger oder edler Mann, doch bei ihr konnte ich es sein. Ohne mich jemals zu berühren, veränderte sie mich.
Selbst jetzt, ein Menschenleben später, kann ich zu den Klippen gehen und sie sehen. Ich kann die See riechen, die sich nie verändert, und Biancas Parfüm auffangen. Ich brauche nur eine wilde Rose zu pflücken, um mich an das feurige Schimmern ihres Haares zu erinnern. Schließe ich die Augen, höre ich das Murmeln des Wassers auf den Felsen in der Tiefe, und ihre Stimme kommt so klar und süß zurück, als wäre es gestern gewesen.
Ich erinnere mich an den letzten Nachmittag in diesem ersten Sommer, als sie neben mir stand, nahe genug, um sie zu berühren, und doch fern wie der Mond.
»Wir reisen morgen früh ab«, sagte sie, sah mich jedoch nicht an. »Den Kindern tut es leid, dass wir gehen.«
»Und Ihnen?«
Ein schwaches Lächeln umspielte ihre Lippen, erreichte jedoch nicht ihre Augen. »Manchmal frage ich mich, ob ich schon davor gelebt habe. Ich werde das Meer vermissen.«
Vielleicht dachte ich nur, als sie mich ansah, sie würde mich auch vermissen. Dann blickte sie wieder weg und seufzte.
»New York ist so anders, so voll Lärm und Hetze. Es ist schwer zu glauben, dass es eine solche Stadt gibt, wenn ich hier stehe. Werden Sie während des Winters auf der Insel bleiben?«
Ich dachte an die kalten und einsamen Monate, die vor mir lagen, und verwünschte das Schicksal dafür, dass es mich mit etwas lockte, das ich nie haben konnte. »Meine Pläne ändern sich mit meiner Stimmung.« Ich sagte es leichthin und bemühte mich, die Bitterkeit aus meiner Stimme fernzuhalten.
»Ich beneide Sie um Ihre Freiheit.« Sie wandte sich ab und ging zu ihrem fast fertigen Porträt auf meiner Staffelei. »Und um Ihr Talent. Sie haben mehr aus mir gemacht, als ich bin.«
»Weniger.« Ich musste meine Hände zu Fäusten ballen, um sie nicht zu berühren. »Manche Dinge kann man nie mit Farben und Leinwand einfangen.«
»Wie werden Sie es nennen?«
»Bianca. Ihr Name ist genug.«
Sie muss meine Gefühle erfasst haben, obwohl ich sie für mich behalten wollte. Etwas trat in ihre Augen, als sie mich ansah, und dieser Blick dauerte länger, als er sollte. Dann wich sie vorsichtig zurück wie eine Frau, die zu dicht an die Kante einer Kippe herangegangen war.
»Eines Tages werden Sie berühmt sein, und die Leute werden sich um Ihre Arbeiten reißen.«
Ich konnte meine Augen nicht von ihr abwenden, weil ich wusste, dass ich sie vielleicht nie wiedersehen würde. »Ich
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