Suzannah und der Bodyguard
mich mit Sicherheit nicht sehen.“ Im Stillen beglückwünschte er sich zu seinem gleichgültigen Tonfall. „Sie hat mich heute Nacht verlassen und war auf dem Weg zu ihrem Liebhaber, als sie den Unfall hatte.“
Dr. Greenfield blinzelte verwundert. „Mir hat sie erzählt, dass sie auf dem Weg nach Hause gewesen sei, von einem Interview, das sie mit einem Züchter von Zwergpferden geführt hat. Und dass Sie sich Sorgen machen würden, weil sie spät dran war.“
Das Pony-Interview? „Doc, dieses Interview hat sie vor einer Woche geführt. Die Geschichte ist schon am Montag erschienen.“
„Ich verstehe.“ Dr. Greenfield lehnte sich zurück. „Das wirft natürlich ein ganz anderes Licht auf die Dinge.“
„Was meinen Sie?“
„Ich meine, dass wir es hier womöglich mit einer retrograden Amnesie zu tun haben.“
Amnesie ? Oh Gott, war er jetzt in einem schlechten Roman gelandet? „Aber Sie sagten doch, dass sie keine Verletzungen davongetragen hätte.“
„Eine Amnesie kann auch bei einer sehr kurzen Bewusstlosigkeit als Begleiterscheinung auftreten, wobei ich eigentlich davon ausgegangen bin, dass wir das ausschließen könnten.“ Greenfield nahm seine Brille ab und putzte die Gläser. „Immerhin hat sie das korrekte Datum und den richtigen Wochentag angegeben.“
„Könnte sie das nicht in der Notaufnahme oder bei einer der Krankenschwestern aufgeschnappt haben?“
„Absolut möglich. Patienten mit einer Amnesie sind oftmals ziemlich gut darin, sich diese Dinge anhand kleiner Hinweise zu erschließen, die sie nach ihrem Unfall mitbekommen. Allerdings hat eine ganze Reihe weiterer Fragen korrekt beantwortet, einschließlich der Ergebnisse der Stadtratswahl am Dienstag.“
Es dauerte einen Moment, bis Ray diese Informationen verarbeitet hatte. „Es ist also möglich, dass sie sich an manche Sachen erinnert, während sie andere vollkommen vergessen hat?“
„Oh ja. Das ist sogar ziemlich wahrscheinlich.“ Dr. Greenfield setzte seine Brille wieder auf. „Eine Amnesie kann zu Gedächtnislücken führen, wobei niemand sagen kann, wo diese Lücken sich zeigen. Ihr Auftreten ist so zufällig wie die Anordnung der Löcher in einem Schweizer Käse.“
Super. Einfach wundervoll. „Das heißt, sie erinnert sich vielleicht an die Wahlergebnisse, aber nicht daran, dass sie einen Liebhaber hat?“
„Ich würde sagen, das ist durchaus möglich.“
Man musste ihm zugute halten, dass Greenfield keine Miene verzog, doch Ray las es ihm an den Augen ab. Eine leichte Verlegenheit sowie sorgfältig verborgenes Mitgefühl mit dem betrogenen Ehemann.
„Oder sie hat ihren Romeo gar nicht vergessen, was meinen Sie, Doc?“, sagte er mit rauer Stimme. „Vielleicht hat sie einfach nur vergessen, dass sie mir von ihm erzählt hat.“
„Das wäre auch eine Möglichkeit“, räumte der Neurologe ein. „Wie auch immer, Detective, ich garantiere Ihnen, dass sie sich offenbar wirklich freut, Sie zu sehen. Im Moment kann sie ein bisschen Mitgefühl und Unterstützung gut gebrauchen.“
Dazu schwieg Ray und achtete peinlich genau darauf, dass sein Gesichtsausdruck nichts preisgab.
„Ich möchte noch erwähnen, dass erst kürzlich erworbene Erinnerungen besonders gefährdet sind, da das Gehirn einige Tage benötigt, um diese als dauerhafte Erinnerung abzuspeichern.“ Dr. Greenfield lehnte sich wieder nach vorn. „Benutzen Sie einen Computer, Mr Morgan?“
Es fiel Ray nicht ganz leicht, ihm zu folgen. „Natürlich. Wer heutzutage denn nicht?“
„Nun, um einen zugegebenermaßen etwas weit hergeholten Vergleich zu bemühen, für ihr Gehirn sind neue Ereignisse, also die Ereignisse der letzten Tage, ziemlich genau das, was für Ihren Computer der Arbeitsspeicher ist. Falls die Stromversorgung des Computers plötzlich unterbrochen wird, bevor die Daten aus dem RAM, also dem Arbeitsspeicher, auf der Festplatte gespeichert werden können, haben Sie einen Datenverlust. Sie können den Computer zwar wieder neu starten, doch alles was sich im RAM befand, ist unwiederbringlich verloren. Daher ist es bei jeder Art von Bewusstlosigkeit möglich, dass noch nicht permanent verankerte Erinnerungen nicht mehr vorhanden sind.“
Großartig. Vermutlich hatte sie also vergessen, dass sie ihn verlassen hatte.
Ray stand auf. „Nun, man soll ja schließlich immer im Augenblick leben, nicht wahr, Doc? Lassen Sie uns also meiner geliebten Gattin einen Besuch abstatten.“
Dr. Greenfields Augen wurden groß. „Sie wollen ihr
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