Suzannah und der Bodyguard
aufgetan hatte.
Sie war die Quelle. Es gab keine andere Möglichkeit. Im Geiste ließ sie die Nacht Revue passieren, als sie John in ihrem Arbeitszimmer überrascht hatte. Was auch immer er gelesen hatte, er hatte es schnell verschwinden lassen, als sie auftauchte. Besser gesagt, er hatte sie an der Tür abgefangen, noch bevor sie sehen konnte, was es war. Sie erinnerte sich ganz deutlich daran, denn es war das einzige Mal, dass er auf sie wirkte, als hätte er etwas zu verbergen gehabt. Er hatte etwas von Polizeikram gemurmelt, und sie war nur allzu bereit gewesen, ihm das zu glauben. Oder sich vielmehr von seinem lässigen Lächeln und seinen geschickten Händen ablenken zu lassen. Ihre Haut brannte vor Scham.
„Offensichtlich ist Gilles der Gedanke auch schon gekommen, sonst hätte er nicht verlangt, dass ich ihn vertrete. Aber ehrlich gesagt werde ich versuchen ihn zu überreden, dass er sich einen richtigen Strafverteidiger nimmt. Egal wer ihn letztendlich verteidigt, ich mache mir etwas Sorgen, dass er mich mit sich in den Abgrund reißt.“
„Aber du hast doch nichts verbrochen.“
„Komm schon, Suzannah, du weißt doch, wie das läuft. Wie oft kommt der eigentliche Verbrecher mit einer geringeren Strafe dafür davon, dass er seinen Anwalt anschwärzt?“
Ja, das wusste sie. Vince bezog sich auf die Praxis, nach der ein Beschuldigter mit einer leichteren Strafe davonkommen konnte, wenn er Beweise – echte oder gefälschte – für die Schuld eines anderen vorlegte. Oder seine Gefängnisstrafe dadurch verringern konnte, falls er bereits verurteilt war. Eine Gefahr, die man in Kauf nahm, wenn man als Strafverteidiger arbeitete.
„Du hast meiner Meinung nach in der Hinsicht nichts zu befürchten, Vince. Sie werden ihm keinen Deal anbieten, nicht im Gegenzug für eine Aussage gegen dich.“ Hoffentlich würde John das nicht tun, bitte, lieber Gott. Mit Sicherheit würde er Vince nicht schaden wollen. So etwas würde er mit Sicherheit niemandem antun.
„Du zählst nicht zu den großen Fischen, Vince.“
„Mann, da fühle ich mich ja richtig geschmeichelt.“
„Erstens hast du nichts Unrechtes getan. Du hast einen makellosen Ruf und führst eine angesehene Kanzlei …“
„Den aktuellen Mandanten mal ausgenommen.“
„Das stimmt. Aber du bist nie jemandem auf die Füße getreten. Niemand hätte etwas davon, dir zu schaden. Ausgenommen möglicherweise DeBoeuf, wenn er wirklich glaubt, dass du ihn hast auffliegen lassen. Aber alles, was er von sich gibt, wird mit großer Skepsis betrachtet werden.“
Vince fluchte erneut und murmelte etwas. Sie presste sich das Handy noch dichter ans Ohr. „Was hast du gesagt?“
„Ich sagte, dass es vielleicht um dich geht. Dass du jemandem auf die Füße getreten bist, meine ich. Wenn wir schon von großen Fischen reden.“
Oh nein, oh nein, oh nein. Das durfte doch jetzt nicht wahr sein .
„Suzannah? Bist du noch dran?“
„Ich bin noch dran.“
„Ich möchte, dass du sofort nach Hause fährst, sämtliche Akten zu DeBoeuf einsammelst und sie ins Büro bringst. Leg sie auf meinen Schreibtisch. Sie waren nie woanders, verstanden? Ich habe sie nie aus den Augen gelassen oder aus der Hand gegeben.“
„Zu spät.“
Eine Pause. „Was meinst du mit zu spät?“
„John Quigley. Er hat DeBoeuf verhaftet. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er die Akten gesehen hat. Schließlich hat er die letzten Wochen sozusagen bei mir gewohnt, zumindest bis gestern.“
Ein weiterer Fluch von Vince.
„Ich glaube, er hat die Akten gelesen, Vince. Ich glaube, dass er deshalb so genau Bescheid weiß.“
„Okay, du machst jetzt Folgendes“, sagte Vince. „Fahr nach Hause. Sprich mit niemandem. Gib mir Zeit, damit ich mir einen Überblick verschaffen kann. Falls DeBoeuf wirklich will, dass ich ihn vertrete, spreche ich so schnell wie möglich mit dem Staatsanwalt. Dann wissen wir auch, woran wir sind.“
„Vince, ich bin an allem schuld. Ich war so blind. Ich habe diese Akten einfach offen herumliegen lassen.“
„He, Kleines, mach dich nicht selbst so fertig. Das waren lediglich Unternehmensunterlagen. Du hast nicht gewusst – wir haben nicht gewusst –, dass sie für die Polizei interessant sein könnten.“
„Falls du deswegen Ärger bekommst …“
„Keiner von uns beiden bekommt deswegen Ärger. Sie können nichts von dem, was Detective Quigley in den Akten vielleicht entdeckt haben mag, gegen uns verwenden.“
Sie stieß einen erstickten Laut aus.
Weitere Kostenlose Bücher