Svantevit - historischer Roman (German Edition)
zurück und gab den anderen zu verstehen, dass man es wagen könne.
Unnötige Geräusche wurden vermieden und jeder war um ein zügiges Tempo bemüht. Der Anführer konnte recht grob werden, wenn es nicht nach seinem Willen ging. Oft genügte sein Furcht einflößender Blick, um die anderen Mitglieder der Gruppe zur Unterordnung zu zwingen. Er scheute aber auch die körperliche Auseinandersetzung nicht, wie viele Narben an seinem Leib belegten. Mit seiner kräftigen Statur hob er sich deutlich von den anderen ab und viele von denen, die es je gewagt hatten, mit ihm zu kämpfen, hatten mit ihrem Leben hierfür gezahlt. Seine Kraft und Erfahrung machten ihn gefährlich für Gegner und zugleich so unentbehrlich für die Gruppe.
Die Dunkelheit nahm rasch zu und bald verschwand das letzte Sonnenlicht. Die weiße Landschaft war in der frostigen klaren Sternennacht dennoch gut zu erkennen, was für die Gruppe aber eher einen Nachteil bedeutete, denn so waren auch sie unschwer auszumachen. Bei jedem Geräusch hielten sie an und lauschten gespannt, während der Anführer der vermeintlichen Gefahr langsam entgegenging. Oft stammte die Störung aber nur von Vögeln oder sehr weit entfernten Menschen, deren Lärmen der Wind weit über das Eis trug.
Als die große Insel erreicht war, eilte die Gruppe sofort in ein nahes Waldstückchen und nahm dort geräuschlos Deckung. Hunger war ein übermächtiges Gefühl und ließ alle unruhig umherlaufen. Große Tiere, deren Jagd lohnend wäre, waren hier in diesem kleinen Wäldchen nicht zu erwarten.
Vor den Bäumen erstreckte sich ein langes Feld, jetzt schneebedeckt, hinter dem ein Gehöft mit drei Häusern stand. Dort war sicher etwas gegen den immer schlimmer werdenden Hunger zu finden. Im Schein flackernder Kienfackeln traten zwei Menschen heraus und verschwanden bald in einem anderen Gebäude.
Jetzt hieß es abwarten, denn es dürfte noch eine Weile dauern, bis sich die Bewohner auf dem Gehöft zur Nachtruhe begeben würden. Bis dahin konnte man sich hier im Schutze des Unterholzes noch etwas ausruhen.
Als die Gelegenheit herangekommen war, wurde die Gruppe unruhig. Schnell wurde klar, dass es der Anführer allein versuchen wollte, da für eine schnelle und vor allem geräuschlose Aktion die anderen nur störend waren. Zwei junge männliche Mitglieder der Gruppe wollten sich damit nicht abfinden und begannen, dem Anführer dicht zu folgen, der sie sich aber mit deutlicher Geste vom Hals schaffte.
Bald war der hölzerne Zaun erreicht, welcher mit einem Sprung überwunden wurde. Vorsichtiges Abwarten bestätigte, dass es in den Wohnhäusern ruhig blieb. Längst war dem Anführer klar, wo sich der Stall mit den Tieren befand. Er schlich um dieses Gebäude herum und fand es mit einer gut verschlossenen Holztür gesichert. Die ersten Schafe und Gänse schienen die Gefahr zu spüren und begannen unruhig zu lärmen. Nun durfte keine Zeit verloren werden.
Die Holztür war in einen Torbogen in der mit Lehm verputzten Flechtwand des Stalles gehängt. Der Bogenabschluss war oben offen – dort konnte man hineingelangen. Nach einem kurzen Anlauf war es geschafft und der Anführer landete mitten in einem Verschlag mit einem halben Dutzend blökender Schafe. Er packte ein recht großes Tier und trat unverzüglich den Rückweg an. Es verlangte ihm gehörige Kräfte ab, das schwere zappelnde Schaf nicht fallen zu lassen. Aus dem Stall über den Hof, noch mal allergrößte Anstrengung und über den Zaun mit einem Satz. Da schlug bereits eine Tür auf.
"Wer ist da?!", donnerte eine Männerstimme durch die Nacht, während der Anführer von dannen hetzte.
Gegen Mitternacht erklang dann der jaulende Ton, welcher den Menschen seit Urzeiten das Blut in den Adern gefrieren lässt – ein mächtiges Wolfsgeheul. Das kleine Rudel hatte an dem großen Schaf seinen ersten Hunger gestillt und zog im Schutze der Nacht weiter nach Norden.
"Das Vieh soll so groß wie ein Bär gewesen sein. Aber an den Spuren konnte ein Wolf eindeutig als der nächtliche Räuber festgestellt werden. Zudem war dieses grässliche Geheul zu hören, was jeden letzten Zweifel beseitigen sollte."
Die Männer des Dorfes und einige Tempelgardisten beratschlagten, wie die Jagd auf diese räuberischen Tiere zu organisieren war.
Auf Rügen gab es keine Wölfe, was weniger daran lag, dass diese hier nicht ausreichend Wild zum Jagen gefunden hätten, als vielmehr an der dichten Besiedlung der großen Insel durch den
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