Svantevit - historischer Roman (German Edition)
ist noch kein richtiger Honig. Du kannst ja mal eine reife Blüte probieren. Erst, wenn sie die Flüssigkeit wieder ausstoßen und in die Waben füllen, ist es das, was wir als Honig bezeichnen. Und gefährlich sind die Bienen eigentlich auch nicht. Nur zu bestimmten Zeiten oder wenn man sie reizt, greifen sie schon mal an. Immerhin muss jede Biene einen Stich mit dem Leben bezahlen, weil sie sich mit dem Stachel ihren halben Leib herausreißt."
Radik blickte von der Seite auf Kaila und konnte es immer noch nicht fassen, dass sie sich mit ihm unterhielt, als seien sie schon immer gut befreundet, wo sie ihn doch nach der Begegnung im winterlichen Wald über ein halbes Jahr ignoriert hatte. Aber Radik erinnerte sich an den Rat Womars und versuchte erst gar nicht, sich in Kaila hineinzuversetzen. Er hoffte nur, künftig alles richtig zu machen, denn die Warnung des Alten, dass Kaila sehr empfindsam sei, klang ihm noch im Ohr.
"Die Bienen folgen stets ihrer Königin. Falls diese wegfliegt, eilt das ganze Volk hinterher und siedelt sich dort an, wo sich sie sich niedergelassen hat. Wenn man die Königin einfängt, gehört einem das ganze Bienenvolk. Sie lebt länger, als die anderen Bienen. Sobald sie stirbt, entwickelt sich aus den noch unentwickelten Larven eine neue Königin. Selbst hab ich das auch noch nicht gesehen, aber mein Großvater hat es mir erzählt."
Eine Biene flog Radik plötzlich vor das Gesicht. Instinktiv schlug er nach ihr.
"Damit machst du sie erst wild", meinte Kaila streng und hob das Rauchgefäß hoch, was die Biene wenig störte, aber Radiks Augen sofort Tränen ließ.
Er ging deshalb einige Schritte zurückging.
"Gut. Bleib lieber dahinten. Ich werde jetzt die Waben einsammeln, bevor mein Räucherholz alle ist."
Sie setzte wieder diese Lederkappe mit dem leinenen Schleier auf, steckte alles sorgfältig ins Hemd, nahm anschließend die beiden Tongefäße in jeweils eine Hand und ging, das rauchende Gefäß vorangestreckt, langsam los. Beim Korb angekommen, drehte sie diesen vorsichtig um.
Radik blieb nur ein Staunen, angesichts der eigenartigen Prozedur, die sich vor seinen Augen abspielte. In dichten Qualm und einen ebenso dichten Bienenschwarm gehüllt, entnahm Kaila in ihrer merkwürdigen Kostümierung seelenruhig mehrere, wie kleine flache Bretter wirkende Gegenstände aus dem Korb und legte diese in den großen Tontopf, den sie zu ihren Füßen gestellt hatte.
Als alles getan war, stellte sie den Korb wieder auf, schwenkte den Rauchtopf umher und ging langsam auf Radik zu. Dieser hätte, wenn er nicht sicher Kaila in dem Aufzug gewusst hätte, angesichts dieser Szene nun das Weite ergriffen. Allerdings war er auch so etwas besorgt wegen der vielen Bienen, die um Kailas Kopf schwirrten und ihr zu folgen schienen. Sie hatte wohl seine Sorgen erraten und blieb in einigem Abstand stehen, den Rauchtopf weiter behutsam schwenkend. Als nach einer Weile kaum noch Bienen um sie flogen, entledigte sie sich der schützenden Kopf– und Handbedeckungen.
Radik besah sich den Inhalt des Tontopfes.
"Das da ist bereits Honig."
Kaila strich mit dem Finger über eines dieser merkwürdigen flachen Dinger, die aus einer Aneinanderreihung kästchenförmiger Gebilde zu bestehen schienen, leckte diesen ab und bedeutete Radik, es ebenso zu tun. Radik fühlte unter der klebrigen Honigschicht ein eigenartiges Material.
"Das haben die Bienen aus einer Art Wachs gemacht, aus dem sich auch wunderbare Kerzen herstellen lassen. Dorthinein werden die kleinen Eier gebracht, die die Königin legt."
"Eier? Dann ist es ja wie bei den Vögeln. Na ja, die Bienen können schließlich auch fliegen."
"Der Honig, den wir Menschen uns nehmen, soll eigentlich dem Nachwuchs als Nahrung dienen. Aber wir lassen genug, damit das Bienenvolk nicht verhungern muss."
Der Honig schmeckte wunderbar süß und Radik ließ ihn sich langsam auf der Zunge zergehen. Gerne hätte er noch mal in den Topf gelangt, aber er wollte nicht gierig erscheinen, zumal es auch Kaila bei einer Fingerprobe bewenden ließ.
Sie schüttete das Gefäß mit dem Räucherholz aus.
"Manchmal setze ich mich ins Gras und beobachte das Treiben am Bienenkorb, ohne auf die Zeit zu achten."
Sie blickte Radik mit ihren wunderschönen grünen Augen an und er war etwas verlegen. Kaila erzählte schwärmerisch weiter.
"Sobald die Sonne aufgeht, beginnen diese fleißigen Tierchen mit dem Sammeln des Blütensaftes und schwirren ohne Pause, bis es wieder Nacht wird.
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