Sweetgrass - das Herz der Erde
schier überlaufen vor Glück. Sie ging mit ihm zum Haus, und ihrem unerbittlichen Auge entging der schäbige Anblick ihres sonst so makellosen Zuhauses nicht. Prestons Krankheit hatte sie zu sehr in Anspruch genommen, als dass es ihr aufgefallen wäre. Sie sah, dass das Sitzkissen auf der Bank der Veranda voll mit Blackjacks Hundehaar war und dass sich Schmutz und Spinnweben in den leeren Blumenkästen gesammelt hatten. Es war April, und sie hatte noch immer keine Stiefmütterchen gesetzt.
Blackjack stoppte am Fuße der Treppe und sah Mama June flehentlich an.
Sie drehte sich um und zeigte auf den Korb unter der Veranda. “Ich weiß gar nicht, warum ich das überhaupt mache. Sobald wir uns umdrehen, wird er sich nach oben schleichen. Das macht er so, seitdem dein Vater im Krankenhaus liegt. Wahrscheinlich hält er nach ihm Ausschau. Ich kann mich nicht erinnern, dass Preston jemals länger als einen Tag von hier weg gewesen ist.”
“Es ist so still hier, ist Nona denn gar nicht da?”, fragte Morgan.
“Du lieber Gott, nein! Nona hat sich zur Ruhe gesetzt, kurz nachdem du weggegangen bist. Sie kümmert sich hauptsächlich um ihre Körbe. Ich hab sie nicht mehr allzu oft gesehen seither, aber von Zeit zu Zeit halten wir an ihrem Stand ein Schwätzchen.”
“Das Haus war ihr wohl zu leer ohne mich, schätze ich.”
“Das war bestimmt der Grund”, antwortete Mama June und öffnete die Haustür.
Die Eingangshalle erstrahlte im Sonnenlicht, und frische Luft wehte herein. Plötzlich überkam sie die Freude einer jungen Mutter, die ihr Kind ins Haus ruft.
“Komm herein, Morgan. Willkommen zu Hause!”
Mama June hüpfte das Herz, als sie Morgan lächelnd ins Haus lotste. In der Halle standen sie einen Moment ein bisschen verlegen herum. Es entstand eine peinliche Pause. Sie entschieden sich, vor dem Frühstück noch einmal nach oben zu gehen, um sich etwas frisch zu machen. Mama June ging die weite Treppe hinauf voran und machte die Lichter an. Hinter ihr blickte Morgan mal nach links, mal nach rechts, um alles in sich aufzunehmen. Sein Blick sagte ihr, dass er bemerkt hatte, dass die einstmals glanzvoll cremefarbenen Wände die Farbe grauen Staubes angenommen hatten und dass der Seidenbezug der alten Stühle ebenso fadenscheinig geworden war wie der Saum der Vorhänge an den verblichenen Tapeten.
“Ich nehme mal an, dass Daddy immer noch jeden Penny in die Farm steckt?”, fragte er.
“Und jeden zweiten Penny hat er gepumpt”, erwiderte sie leichthin. “Plus ça change, plus c’est la même chose.”
“Jedenfalls ist es gut zu wissen, dass die gute alte Beatrice die Alte geblieben ist”, scherzte er und deutete auf das Gemälde einer aufrechten Dame des 19. Jahrhunderts mit strengem Gesichtsausdruck, die ein leuchtend rotes Häubchen trug. Beatrice Blakely war eines der Gründungsmitglieder des Blakely-Clans in den Kolonien. Sie war die zweite Frau von Oliphant “Ol’ Red”, der zuvor aus Europa nach Nordamerika gekommen war.
“Hast du jemals herausgefunden, warum sie so böse schaut?”
Mama June schnaubte verächtlich. “Steuern, jede Wette. Die Steuern waren der Fluch dieser Familie seit Beatrices Zeiten. Morgan …”
Sie ließ den Satz unbeendet, denn er hatte das Schlafzimmer am Ende der Halle erreicht und öffnete die Tür.
Mama June blieb stehen, aber ihr Blick folgte ihm. Sie sah ihn ruhig dastehen, seine Tasche immer noch in der Hand, und sich in seinem alten Zimmer umschauen. Sie atmete durch und folgte ihm durch den Flur zu dem spärlich erleuchteten Zimmer.
“Ich wünschte, ich hätte gewusst, dass du kommst. Ich hätte es dir ein bisschen vorbereitet.”
Sie lief geradewegs zu den Fenstern und schob mit ein paar entschlossenen Handgriffen die schweren blauen Vorhänge zur Seite. Eine Armee von Staubflusen tanzte im Sonnenlicht. Sie wischte sie zur Seite, während ihre Wangen von einem leichten Rot überzogen wurden. Dann ging sie zum anderen Fenster, öffnete die Vorhänge und machte auch dieses Fenster frei.
“Ich bin in diesen Zimmern nicht mehr sehr oft”, erklärte sie und sah sich stirnrunzelnd um. Schließlich drehte sie sich zu ihm und schüttelte den Staub von ihren Händen.
Er stand immer noch reglos da. Mit einem merkwürdigen Blick betrachtete er das eiserne Bettgestell mit der armeeblauen Patchworkdecke, auf der das gestickte Familienwappen prangte. An den Wänden hingen Bilder von den Buchten, von den Sümpfen und den Segelbooten, die er in seiner Jugend
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