Sweetgrass - das Herz der Erde
der du gerade so viel zu tun hattest.”
“Wir haben ein paar neue Gesetze durchgesetzt. Die Dinge sind besser geworden. Es wurde Zeit für etwas Neues. Außerdem ist Politik auf Dauer ziemlich demoralisierend.”
“Das verstehe ich nicht. Ihr habt doch gewonnen, oder?”
“Es ging nicht ums Gewinnen oder Verlieren. Es ging um den Schutz der Natur.”
Sie fragte zu viel, und er wollte nicht darauf eingehen. Das war in dieser Familie die übliche Einbahnstraße. Nach den wenigen Telefongesprächen über die Jahre hatte sie sich hinterher jedes Mal ihren Reim machen müssen und war immer wieder enttäuscht gewesen, wenn sie aufgelegt hatte.
Mama June runzelte die Stirn und wandte sich wieder dem Geschirr zu. Sie schwieg für einen Moment, doch als sie die Pfanne abtrocknete, sah sie zu ihm hinüber. Er hatte die Gabel bereits nach wenigen Bissen zur Seite gelegt.
“Zu viel Salz?”, fragte sie betroffen. “Preston sagt immer, ich salze zu viel.”
“Nein, ist in Ordnung.” Er nahm die Gabel wieder in die Hand. “Ich bin oben ein bisschen herumgelaufen”, begann er und drehte versonnen die Gabel in seiner Hand. “Ich war in Hams Zimmer.” Er legte die Gabel wieder ab. “Mir ist aufgefallen, dass Daddys Sachen da drin sind.”
Mama June faltete das Küchenhandtuch sorgfältig zusammen und legte es weg. Morgan sah sie fragend an.
“Ja”, erwiderte sie langsam. “Das ist jetzt sein Zimmer.”
“Seit wann habt ihr getrennte Schlafzimmer?”
“Ich weiß gar nicht mehr, seit wann.” Sie konnte genauso ausweichend sein wie er.
Sie wusste nicht recht, wie viel sie ihrem Sohn erzählen sollte. Er war kein Junge mehr, obwohl er es in ihren Augen immer sein würde. Er war ein erwachsener Mann und kannte sich mit dem Leben aus. Die Probleme zwischen ihr und Preston hatten sich über die Jahre aufgestaut, eine sehr private und persönliche Geschichte zwischen einem Mann und seiner Ehefrau.
Sie gehörte nicht zu den Frauen, die sich mitteilten und gegenüber anderen aussprachen, was sie im Inneren bewegte und berührte. Die Art mancher Frauen, über ihr Privatleben zu plaudern, kam ihr vor, als würde sie durch deren Fenster spähen. Sie dagegen hatte ihre Vorhänge nachts immer zugezogen – welches Zimmer war schließlich intimer als das Schlafzimmer? Sohn oder nicht, das ging Morgan wirklich nichts an.
“Das muss dich nicht weiter wundern. Das ist ab einem gewissen Alter gar nichts Besonderes. Und jetzt nach dem Schlaganfall, wer weiß …” Sie brachte noch ein paar Brötchen an den Tisch.
“Hör auf, mich zu bedienen, Mama June!”
Sie blieb wie angewurzelt stehen und starrte ihn erschrocken an.
Morgan wirkte verlegen. Behutsam zog er einen Stuhl zu sich heran. “Komm her, setz dich, Mama. Du musst hier niemanden bedienen. Bitte.”
Mama June stellte die Brötchen auf den Tisch und ließ sich wortlos auf einen Stuhl sinken.
Morgan legte seine Hand auf ihre Schulter. “Es tut mir leid, dass ich hier einfach so aufgekreuzt bin.”
“Ach, was”, entgegnete sie, fing sich allmählich und machte eine wegwerfende Handbewegung. “Das ist schließlich dein Zuhause. Du bist hier, das ist alles, was für mich zählt. Und es wird deinem Vater unendlich viel bedeuten. Du weiß gar nicht, wie viel.”
Sie sah den Schmerz in seinen Augen aufblitzen, bevor er seine Hand von ihrer Schulter nahm. “Ja, nun …”
“Ganz bestimmt.”
Nach einer Weile sagte er: “Ich sollte ihn besuchen. – Darf man ihn denn überhaupt besuchen?”
Sie hörte aus seinen Worten mehr Pflichtempfinden als herzliche Sorge, und das tat ihr weh.
“Natürlich darf man ihn besuchen”, antwortete sie. “Je öfter, desto besser. Seit zehn Tagen mache ich nichts anderes, als Leute zu beknien, ihn zu besuchen. Ich habe Unmengen von Blumen bekommen und Genesungskarten und mehr Essen, als ich einfrieren kann. Alle waren unglaublich fürsorglich. Trotzdem scheint niemand die Zeit oder den Wunsch zu haben, ins Krankenhaus zu gehen und an seinem Bett zu sitzen. Dabei ist es so wichtig, dass jemand bei ihm ist, verstehst du? Er ist so hilflos. Wie ein Baby.” Sie zögerte. “Du wirst … überrascht sein, wenn du ihn siehst. Ich lasse ihn jedes Mal nur ungern zurück. Man hört so grässliche Geschichten von Fehlern, die sie in Krankenhäusern machen oder was sie in der Krankengeschichte übersehen. Ich fahre jeden Tag in die Stadt und bleibe, solange ich kann, aber es ist einfach nicht genug.”
“Ich werde
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