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Sweetgrass - das Herz der Erde

Sweetgrass - das Herz der Erde

Titel: Sweetgrass - das Herz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Alice Monroe
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zusammen, um das Sweetgrass zu ‘pflücken’, das aus der Wurzel kommt wie ein Schwert aus der Scheide. Die Grasbündel werden dann zum Trocknen in der Sonne ausgebreitet.”
    (Row Upon Row)
    Die bloße Erwähnung von Blakely’s Bluff versetzte Mama June zurück in die Vergangenheit. Sobald das passierte, nahm sie sich immer ein Buch vor, las in der Bibel oder sah sich im Fernsehen einen alten Film an, bevor sie schlafen ging. Meistens half das ebenso gut wie ein heißer Grog, um sie ohne verstörende Gedanken in einen traumlosen Schlaf sinken zu lassen.
    In dieser Nacht aber verzichtete sie auf den Trost eines solchen Schlafmittels. Ihre Träume hatten ein Eigenleben angenommen, und ihre Gespräche mit Preston hatten den Erinnerungen eine Schleuse geöffnet. Und anstatt vor ihnen davonzulaufen, beschloss Mama June, Kristinas Rat zu befolgen und sie an sich heranzulassen. Vielleicht konnte sie sie dann endlich verarbeiten.
    Denn sie hatte die Vergangenheit nie wirklich begraben. Sie war immer präsent und regte sich bei der bloßen Erwähnung eines Wortes – wie ein Tier, das im schlammigen Sumpf lebte und das sich nach der Flut richtete.
    Das Schweigen tut einer Familie nicht gut, dachte sie. Und in ihrer Familie wurde schon so lange geschwiegen, dass es längst Normalität geworden war. Sie dachte an die Zeit, als in ihrer Familie noch über alles Mögliche gelacht und geredet wurde. Das Schweigen, das sie über Hamlins Tod verhängt hatten, ließ sie das schreckliche Geschehen nicht einmal erwähnen.
    Mama June trat vom Fenster zurück und lief ruhelos in ihrem Schlafzimmer auf und ab. Sie kam sich vor wie Beatrices Geist, der zwischen Vergangenheit und Zukunft gefangen war. Nach Hamlins Tod hatte ihre Verzweiflung keine Grenzen gekannt. Es kümmerte sie nicht, ob sie tot war oder lebte. Wie viele Menschen ihrer Generation war sie mit Ratschlägen erzogen worden wie: “Denk einfach nicht dran, Liebling” oder “Denk an etwas Schönes”. Aber je mehr sie dem Schmerz und dem Verlust, der Lücke, die Hamlin in ihrem Herzen hinterlassen hatte, davonlief, desto weniger schien sie mit ihrem Leben weitermachen zu können.
    Dasselbe galt für Morgan.
    Wenn sie ehrlich mit sich selber war, musste sie zugeben, dass die Erinnerungen, die mit Blakely’s Bluff verbunden waren, viel weiter reichten als bis zu Hamlins Tod. Und Morgan konnte gar nicht wissen,
wie
weit zurück das Schweigen reichte. Preston dagegen wusste es. Preston hatte es immer gewusst, und er hatte sie immer beschützt. Er war in der Vergangenheit stets ihre Stütze gewesen. Doch jetzt musste Mama June sich der Vergangenheit stellen. Sie musste für sie beide stark sein. Um ihres Sohnes willen.
    Mama June stieß das Fenster auf und ließ die Nacht herein, zart und mild und noch nicht so drückend heiß wie später im Sommer. Sie schlüpfte aus ihrem Morgenmantel und kroch unter die Bettdecke. Als sie es sich auf ihrem Kissen bequem gemacht hatte, hörte sie den lauten Gesang der Grillen, der sie angenehm schläfrig machte.
    Während sie in den Schlaf hinüberglitt, stellte sie sich noch einmal Prestons junges Gesicht vor, sein zurückhaltendes Lächeln, das dem seines Sohnes so sehr ähnelte. Der Gedanke verschaffte ihr eine wohlige Wärme, und so schloss sie die Augen und ließ ihre Gedanken schweifen. Zurück in ihre Jugend.
    Zurück nach Blakely’s Bluff.
    * * *
    Bluff House stand am äußersten Ende der Küste und trotzte Wind und Wetter. Ursprünglich hatte Beatrices Enkel es gebaut, der erste Hamlin Blakely, ein zorniger Mann, den der Schrecken des Bürgerkriegs äußerlich und innerlich schwer gezeichnet hatte. Die Leute behaupteten, er habe, so weit wie es nur ging, Gott entgegengehen wollen.
    Das Haus war dem Meer zugewandt. Es bestand aus zwei einfachen, schmucklosen Stockwerken aus Zedernholz, das die Witterung hatte grau werden lassen. Jedes Fenster war mit schwarzen Sturmläden versehen. Sie waren dick und einfach, gebaut zum Schutz und nicht zur Verzierung. Das Haus wäre wenig einladend gewesen, hätte es nicht die große Veranda gegeben, die der Fassade vorgelagert war. Angebaut hatte sie ein Nachkomme, dem es nicht um Rachsucht, sondern um Lebenslust gegangen war. Die fein gearbeiteten Verzierungen waren strahlend weiß gestrichen und luden zum Verweilen in der frischen Seeluft ein.
    Mary June verliebte sich sofort in dieses Haus. Es waren die Widersprüche, die sie faszinierten, denn das Haus war zugleich einladend und

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