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Sweetgrass - das Herz der Erde

Sweetgrass - das Herz der Erde

Titel: Sweetgrass - das Herz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Alice Monroe
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hatte, als ihr Vater in den Zuschauerraum gekommen war. Sie fand, dass er von allen Vätern mit Abstand am besten aussah, wie er neben Mama June und den Jungs saß und ihr bei der Tanzaufführung zusah. Er hatte nie eine davon verpasst.
    Das Beste aber waren diese besonderen Tage gewesen, an denen er die ganze Familie zusammengetrommelt hatte, Cousins und Kusinen und so weiter, um nach Blakely’s Bluff zu fahren und auf seinem alten umgebauten Krabbenkutter eine der seltenen Fischertouren bei Nacht zu unternehmen. Er nannte den Kutter “Das Projekt”, weil er an diesem heruntergekommen Kahn schon so lange herumbastelte, dass niemand mehr wusste, wann er eigentlich damit begonnen hatte. Es war sein ganzer Stolz – und der Stoff für viele Familienanekdoten. Preston baute in das Boot Kojen ein und eine Kombüse, um daraus ein seetaugliches Hausboot für Familienausflüge zu machen. Irgendwann gehörte zu einem Familientreffen eine Partie mit dem “Projekt” einfach dazu.
    Und welchen Spaß hatten sie dabei gehabt! Die jungen Cousins standen an die Reling gedrängt und kicherten aufgeregt, während sie darauf warteten, dass der “Kapitän” die Messingglocke schlug und den Befehl zum Ankern gab. Die Tanten standen neugierig auf der Veranda von Bluff House, mit Röcken, die wie Flaggen im Wind wehten, und verabschiedeten das Schiff mit großem Hallo. Nans Vater war ihr Peter Pan, der mit ihnen zu seinem Neverland fuhr, wo sie alle, ob Jungs oder Mädchen, sich ordentlich austoben konnten, den ganzen Tag angelten und schwammen und frischen Fisch und knuspriges Brot mit den Fingern in sich hineinstopften, bis sie satt und zufrieden waren. Nachts schliefen sie dann eng aneinandergekuschelt in ihren schmalen Kojen.
    Wenn sie tagsüber segelten, beobachtete Nan ihren Vater, der breitbeinig und sicher am Steuerrad stand, und ihr Herz schien vor lauter Liebe fast zu zerspringen. Und abends, wenn sie eigentlich unter Deck hätte schlafen sollen, schlich sie sich manchmal nach oben und beobachtete heimlich, wie ihr Vater seinen Arm um Mama June gelegt hatte und mit ihr den Mond anschaute. Ihre Mama blickte ihn an, und dann küsste er sie. Nans Herz hüpfte jedes Mal, wenn sie das sah. Sie hielt die beiden für das glücklichste Paar der Welt.
    Als sie klein gewesen war, war ihr Vater ihr größter Held.
    Doch als sie geheiratet hatte und eine Leland geworden war, hatte ihr Vater sie losgelassen. Und seitdem hatte sie sich nach seiner starken Hand gesehnt.
    Sie starrte wieder auf ihre kleine Hand, die in seiner großen lag. Die vergangenen Monate waren auch für sie nicht leicht gewesen. Es fiel ihr schwer zu akzeptieren, dass der starke unverwüstliche Mann, den sie ihr ganzes Leben gekannt hatte, sich so verändert hatte. Zu Beginn hatte sie Angst davor gehabt, sich um ihn zu kümmern, den stummen, unselbstständigen Mann, der er geworden war, zu pflegen.
    Dabei war es gar nicht so schwierig. Wenn sie nun ihrem Vater beim Essen half oder bei seinen Übungen oder ihm etwas vorlas, war sie ihm näher als in den vergangenen Jahren. Sie wusste, wie hart er zu kämpfen hatte, damit es wieder bergauf ging, damit er etwas von dem wiedererlangte, was er einmal gewesen war.
    Tränen traten in ihre Augen, als sie nach all diesen Jahren seine Hand auf ihrer spürte.
    “Du bist noch immer mein Held, Daddy.”
    Oben in ihrem Zimmer erwachte Mama June zitternd aus ihrem Traum, obwohl es so heiß war, dass sie schwitzte. Das Mondlicht schien direkt ins Zimmer und tauchte es in silbriges Licht. Sie zog sich die Decke über die Schultern, lag still da und horchte auf die Geräusche im Haus. Doch das Einzige, was sie hörte, war das gedämpfte Geräusch des Fernsehers aus Morgans Zimmer. Sie überlegte, ob er wohl wieder trank.
    Unruhig drehte sie sich auf die Seite. Sie hatte beinahe Angst, wieder einzuschlafen. Erst dachte sie, sie hätte von Preston geträumt, aber es war Tripp gewesen, der sie bis in ihren Traum verfolgt hatte.
    Wieso Tripp? Und wieso jetzt?, überlegte sie. Sie hatte so viele Jahre nicht an ihn gedacht. Manchmal kam es ihr vor, als wäre er nur ein Hirngespinst. Oder irgendein Geist, der im Haus herumspukte. Auf diese Art war der Gedanke an ihn jedenfalls leichter zu ertragen.
    Doch in dieser Nacht hatte sie ihn so deutlich und lebendig vor sich gesehen, als wenn all das erst gestern geschehen wäre. Es war so schwer, alles noch einmal durchzumachen. Die Tränen auf ihrem Gesicht waren noch nicht getrocknet. Als sie

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