Sydney Bridge Upside Down
vorbeikommen würden, und im Moor natürlich, wo wir Frösche fingen, und dass es auf der anderen Flussseite einen Laden gab und andere Sachen, ein gespenstisches Haus ohne Schornsteine, und Wege, die in den Busch führten und von dort zu unglaublichen Orten, zu einem Felsüberhang zum Beispiel, von dem aus man einen riesigen Wasserfall sehen konnte, und eine Grabstätte und eine Schanze und eine verfallene Windmühle, und ich erklärte ihr, dass wir ihr alles zeigen wollten in ihren Ferien, dass sie bestimmt Spaß haben würde, dass wir uns immer tolle Sachen einfallen ließen. Das schien ihr alles ganz gut zu gefallen, denn sie gab mir noch einen Kuss, und Dibs und Cal bekamen auch einen, wahrscheinlich der Fairness halber. Es hatte etwas Überraschendes, wie sie einen küsste, man spürte irgendwie, was sie vorhatte, und wenn man gewollt hätte, hätte man wohl auch Zeit gehabt, den Kopf zu drehen, aber irgendwie konnte man sich nicht bewegen, und wenn der Kuss dann landete, war es doch eine Überraschung. So macht man das wohl in der Stadt, dachte ich, daran werden wir uns gewöhnen müssen, es sei denn, überlegte ich, es gäbe eine Regel, die besagte, dass man nach soundso vielen Küssen eine neue Art finden müsste, um seinen Gefallen an etwas auszudrücken, zum Beispiel, indem man sich die Hand gab. Beim zweiten Mal fiel mir auf, wie nah sie kam, wenn sie küsste, man konnte ihren Körper spüren, es war, als müsste sie, nachdem sie deinen Mund gefunden hatte, sicherstellen, dass sie ihn nicht wieder verlor. Wie auch immer, im Wagen sagte ich noch, dass unser Lehrer meinte, wir würden am Rand der Welt wohnen, und dass man es tatsächlich glauben konnte, wenn man auf das Vorland ging und den Horizont betrachtete, und dass es in Calliope Bay einige Leute gab, die sehr einsam waren, besonders Mrs Prosser (»Harry ist hinter Susan Prosser her«, sagte Cal, bevor ich ihn unterbrechen konnte), und dass es wieder andere gab, zum Beispiel Mr Dalloway, die gleich am ersten Ferientag aus Calliope Bay verschwanden, um dann wochenlang nicht gesehen zu werden, während wir gar nichts dagegen hatten, hier zu bleiben, es gab ja genug zu tun, genug Ablenkung, man musste nur danach suchen. Wahrscheinlich hätte ich ihr auch noch von der Pistole erzählt, wenn Sydney Bridge Upside Down noch etwas langsamer gegangen oder der Weg weiter gewesen wäre. Das Ganze war erst ein paar Stunden her. Und jetzt wollte ich nichts mehr sagen. Der Regen prasselte herab, ich saß auf dem Sofa, und mein einziger Wunsch war, sie anzusehen.
Was war es denn, das sie so schön machte? Sie hatte zum Beispiel sehr zarte Haut, zart und irgendwie milchig, sie hatte nicht einen Pickel, keinen Ausschlag und keine einzige Narbe. Auch ihr Haar war sehr weich und milchig oder vielleicht buttrig, und sie hatte eine kleine, sehr gerade Nase, man sah keine Unebenheiten, keine Venen, nichts, und wenn sie lächelte, kamen sehr weiße Zähne zum Vorschein, sie waren weder schief noch verfärbt, und sie hatte gute, blaue Augen, so klar, dass man hindurchsehen, hineinfallen konnte. Wenn ich ihr das nächste Mal ganz nah komme, nahm ich mir vor, werde ich mir ihre Augen einmal ganz genau anschauen, mal sehen, was hinter ihnen liegt. Natürlich war sie nicht moppelig, wie ich zuerst gedacht hatte, sie war einfach nicht dürr, das war schon alles, oder beinahe alles. Wenn ich mir nämlich Susan Prosser vorstellte, dann sah ich Tittchen, kleine Zitzen, und wenn ich mir Caroline vorstellte, dann sah ich Brüste. Bei all meinen Überlegungen bezüglich Caroline kam ich mir sehr höflich vor, ganz anders als bei Susan oder den Mädchen aus dem Hinterland, die in unsere Schule gingen. Caroline war ein nettes Mädchen. Meine Mutter hatte angekündigt, dass sie schüchtern sei, sie fand sie seltsam, aber ich fand Caroline überhaupt nicht seltsam. Meine Mutter hatte Carolines freundliche Art wohl mit Schüchternheit verwechselt, was mich nicht weiter wunderte, denn meine Mutter ordnete die Menschen anfangs immer gern falsch ein, bis sie es sich dann anders überlegte. Zum Beispiel fand sie am Anfang, dass Mr Dalloway ein besserer Lehrer wäre, wenn er sich weniger um sein Äußeres kümmern würde, aber nachdem er ein paarmal bei ihr vorbeigeschaut hatte, um sich mit ihr über unsere schulischen Fortschritte zu unterhalten, sah sie die Sache auf einmal ganz anders. Papa hatte ein besseres Gespür für Menschen. Er hatte gleich gesehen, dass Caroline nett war, das
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