Symphonie der Herzen
»Ich suche nach einer jungen Dame namens Kitty Conelly. Könntet Ihr mir bitte sagen, wo ich sie finden kann?«
»Ihr meint wohl Kitty Kelly? Folgt mir, Mylord.«
Schwungvoll öffnete die Garderobiere eine Tür und führte James in einen kleinen Raum, in dem sich gerade ein Dutzend junger Damen - einige mehr, andere weniger bekleidet - vor einer Reihe von Spiegeln drängte. James war ehrlich belustigt, dass nicht eine der Damen Anstoß daran nahm, dass plötzlich ein Mann ihre Garderobe betrat. Mit einem amüsierten Lächeln ließ er seinen Blick über die jungen Frauen schweifen, und dann entdeckte er sie auch schon -ihr wundervolles rotes Haar war einfach nicht zu übersehen.
»Hallo, Kitty«, sagte er lächelnd, während er auf sie zutrat. »Ich komme gerade aus Irland zurück, und ich hatte Eurer Mutter versprochen, dass ich auf jeden Fall einmal nach Euch schauen würde, um zu sehen, ob es Euch auch gut geht.« Mrs Connelly war, so lange James sich zurückerinnern konnte, die Haushälterin in Barons Court gewesen, und Kitty war ihre Tochter.
»Lord James!«, wandte Kitty sich mit einem Freudenschrei zu ihm um, schloss hastig ihren abgetragenen Morgenmantel und schlang Abercorn die Arme um den Hals. »Ich freue mich ja so sehr, dass Ihr einmal vorbeischaut! Und was Mutter betrifft: Ich weiß ja, dass sie sich Sorgen macht, weil ich nun in dieser lasterhaften Stadt lebe, wo alle Menschen Verbrecher sind, wie sie meint. Aber ich sage Euch eines - ich komme wirklich prima zurecht. Außerdem habe ich meinen Namen inzwischen in Kitty Kelly umgeändert. Das ist jetzt mein Künstlername, sozusagen.«
»Nun, da bin ich mir, ehrlich gesagt, noch nicht so ganz sicher. Ich meine, was Euer >Zurechtkommen< betrifft.« Zweifelnd schaute er sie an. »Denn ehe ich hierherkam, habe ich bei Eurer Unterkunft haltgemacht - ich dachte, Euch dort anzutreffen, bis Eure Vermieterin mir sagte, dass Ihr schon im Theater seid. In jedem Fall ist mir dabei nicht entgangen, in was für einer ... bescheidenen Behausung Ihr dort lebt. Und die Gegend ist auch nicht gerade die beste.«
»Aber Lord James, ich singe doch bloß im Chor. Da kann ich mir mehr ganz einfach noch nicht leisten. Aber dafür kann ich schon ganz gut selbst auf mich aufpassen. Ich fühle mich dort wohl.«
»Nun ja. In jedem Fall würde ich Euch nach der Vorstellung gerne zum Essen einladen. Dann können wir uns mal ganz in Ruhe miteinander unterhalten.«
»Vielen Dank, Lord James. Aber gerne doch!« Kittys Augen funkelten. »Das wäre fantastisch.«
»Als wir noch Kinder waren, habt Ihr mich nie >Lord James< genannt«, mahnte Abercorn sie spielerisch.
»Ja, aber das war doch bloß, weil ich damals noch ein dummes kleines Ding war, das keine Ahnung hatte, wer vor ihm stand.«
Nachdenklich blickte James sie an. Vielleicht war es ja auch umgekehrt, grübelte er. Vielleicht war ich derjenige, der nicht begriffen hatte, mit wem er es eigentlich zu tun hatte. Er räusperte sich einmal. »Also abgemacht. Ich werde dann nach der Vorstellung hier hinter den Kulissen auf Euch warten.«
Unmittelbar bevor der Vorhang sich hob, nahmen der Herzog und die Herzogin von Bedford, ihre beiden Töchter und Lord John ihre private Loge im Covent Garden Theatre ein. Das Theater war bis auf den letzten Platz ausverkauft, denn das Musical The Brigand - Der Bandit hatte in der Times sehr gute Kritiken bekommen.
Louisa war schon ganz aufgeregt, so sehr freute sie sich auf das Stück. Sie liebte es, die bunte Schar der Zuschauer zu beobachten, die Atmosphäre von Vorfreude und Erregung zu atmen, und überhaupt fand sie das ganze Drum und Dran in einem Theater ganz einfach wunderbar. Neugierig beugte sie sich vor, während aus dem Orchestergraben die Ouvertüre erklang, und musterte gespannt den schon leicht abgewetzten kastanienbraunen Vorhang. Langsam hoben sich die samtenen Falten, der Chor betrat die Bühne und stimmte das erste Thema an; schon bald würden die Hauptdarsteller folgen, und Lu war bereits vollkommen hingerissen von den Kostümen und dem Make-up der Tänzerinnen.
Verträumt stellte sie sich vor, wie es wohl wäre, gemeinsam mit den Darstellerinnen auf der Bühne zu stehen, denn zumindest was ihr Talent anging, konnte Lu mit den meisten dort unten durchaus mithalten, war vielleicht sogar besser als sie. So schüchtern Louisa nämlich normalerweise war, so selbstbewusst wusste sie doch ihre darstellerische Gabe einzuschätzen. Fröhlich klopfte sie mit der Fußspitze im
Weitere Kostenlose Bücher