Symphonie der Herzen
nach ihm umschaute.
Leicht belustigt sah er sie an. »Ich vermute, Ihr habt wohl keine Lust mehr, mit mir hinter die Bühne zu kommen?«
Louisa dachte lange und angestrengt nach. Schließlich platzte es geradezu aus ihr heraus: »Ihr wisst doch ganz genau, dass ich durchaus gerne einmal hinter die Kulissen schauen möchte.«
James musste sich alle Mühe geben, um nicht über sie zu lachen, doch er beherrschte sich und erwiderte kühl: »Dann nehme ich Euch mit. Ohne irgendwelche Gegenleistungen. Zumindest dieses eine Mal.«
Sofort begann Louisas Herz aufgeregt zu pochen. Schweigend standen sie auf und warteten im Gang, bis das Publikum den Saal verlassen hatte. Dann führte Abercorn sie in den hinteren Bereich des Theaters. Ihr Puls raste, während sie sich neugierig umschaute und versuchte, die vielen verschiedenen Eindrücke alle gleichzeitig in sich aufzunehmen. Da waren riesige Haufen von Seilen, alte Kulissenpappen, Requisiten aller Art und natürlich schier unzählige Kostüme. Schauspieler beiderlei Geschlechts, Nebendarsteller und Komparsen plapperten alle wild durcheinander oder fluchten auch einmal oder sangen einfach irgendwelche Liedfetzen - es war ein einziges Geschnatter. Und überall schien ein heilloses Durcheinander zu herrschen, zudem war alles so bunt und lebendig und grell, dass Louisa schließlich glaubte, schier ohnmächtig zu werden vor lauter Eindrücken. Allein schon die Tatsache, dass sie nun dieselbe Luft atmete wie die Schauspieler, begeisterte sie und erfüllte sie mit einer feinen Erregung. Tief sog sie die exotische Duftmischung von Make-up, Schweiß und moderigen Kostümen in sich auf, als ob diese eine Art Lebenselixier sei, und hauchte vollkommen selbstvergessen: »Es ist alles so aufregend hier!«
James beobachtete, wie Louisas Gesicht regelrecht glühte, und so erfreute auch er sich an ihrer Begeisterung. Er spürte ganz einfach, dass er sie mit diesem kleinen Besuch hinter der Bühne sehr glücklich gemacht hatte, und er empfand das überwältigende Bedürfnis, sie am liebsten jeden Tag ihres Lebens so glücklich zu machen - von jetzt an bis in alle Ewigkeit. »Hier entlang«, murmelte er knapp und dirigierte Lu auf eine Tür zu, auf der »Garderobe« stand. Vorsichtig klopfte er einmal an.
»Herein!«, erklang glockenhell die Antwort von einer der Damen aus dem Chor.
Langsam öffnete Abercorn die Tür und schob Louisa in die Garderobe, in der rechter Hand gerade zahlreiche Damen herumschwirrten, mal mehr, mal weniger nackt. An der linken Wand wiederum entdeckte Lu eine lange Reihe von Spiegeln sowie ein Bord mit diversen Schminkutensilien und Haarteilen; und auf den Stühlen und sogar auf dem Boden lagen wild verstreut die farbenprächtigsten Kostüme herum, die sie je gesehen hatte.
»James!«, rief plötzlich eine von den Chordamen. »Ihr seid geblieben, um mich spielen zu sehen.« Kitty war eindeutig geschmeichelt und stürmte freudestrahlend auf ihn zu.
»Ja, ich habe mir die Aufführung angesehen. Und ich habe noch eine Bekannte mitgebracht. Jane möchte Euch gerne kennenlernen. Sie ist vollkommen fasziniert vom Theater.« Ernst schaute er Louisa an und benutzte abermals mit Nachdruck ihren zweiten Vornamen. »Jane, wenn ich Euch nun Kitty Kelly vorstellen darf.«
Argwöhnisch betrachtete Lu Kittys prachtvolles rotes Haar. »Sehr erfreut, Euch kennenzulernen«, murmelte sie eingeschüchtert. »Es muss furchtbar aufregend sein, vor einem Publikum zu spielen. Ich habe den Brigand schon zweimal gesehen, und ich werde bestimmt noch ein drittes Mal kommen. Ich kenne schon alle Lieder auswendig, und auch die Tanzschritte habe ich mir eingeprägt.«
»Das freut mich zu hören, Jane. Toll, dass Euch das Stück gefällt.« Auch Kitty musterte ihr attraktives Gegenüber voller Argwohn.
In diesem Moment bemerkte Lu den leichten Akzent, mit dem das hübsche Mädchen sprach, und dachte: Aha, dann ist sie also Irin! Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum James und sie sich kennen. Vielleicht ist sie sogar mehr als nur eine Freundin? Womöglich sogar seine Geliebte?
Kaum, dass sie an diese Möglichkeit dachte, gefror ihr auch schon das Blut in den Adern, denn ihr war wieder eingefallen, was ihre Schwester einmal gesagt hatte: »Eine Tänzerin kann nicht überleben, wenn sie nicht einen Mann im Hintergrund hat, der ihre Rechnungen bezahlt. Die so genannten Künstlerinnen haben doch allesamt ihre Liebhaber, die für ihre Wohnungen, ihre Kleidung und ihre Kutschen
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