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syrenka

syrenka

Titel: syrenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Fama
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mehr wert war, so kurz sein konnte!
    Dann machte Hester einen Moment Pause auf der Bank unter dem Baum und streifte ihre Tasche ab. Sorgfältig sah sie sich um. Außer ihr war niemand auf dem Friedhof. Sie öffnete die Schnallen ihrer Tasche und zog das Journal hervor, um darin zu lesen. Sie behandelte es sehr vorsichtig. Das Mindeste, was sie tun konnte, nachdem sie das Buch gestohlen hatte, war, gut damit umzugehen.
    Sie bewunderte den Ledereinband, dann schlug sie das Journal auf und fuhr vorsichtig mit der Nase darüber, um den Geruch des alten Papiers tief einzuatmen. Irgendwie kam es Hester so vor, als gehörte ihr dieses Buch. Als hätte sie es schon ein Leben lang besessen.
    Was ist in letzter Zeit nur mit mir los? , fragte sie sich.
    Sie blätterte zu einer willkürlichen Stelle und begann zu lesen. Es ging um Squauanit, die Älteste des verbliebenen Stammes der Sirenen, die sich nach Zehntausenden von Jahren zu einem furchtbaren Ungeheuer gewandelt hatte. Doch trotz ihres abstoßenden Erscheinungsbilds war Squauanit ausgesprochen eitel. Darüber hinaus war sie über alle Maßen selbstsüchtig und habgierig.
    Ihre Darstellung war eher ungenau und skizzenhaft – schwarze Punkte markierten die Augen, und nur das lange dünne, strähnige Haar war genauer gezeichnet und hing an ihrem schemenhaften, unförmigen Körper hinab.
    »Was hast du denn da?«, fragte eine Stimme hinter Hester.
    Hester fuhr herum. Ein kleines Mädchen spähte über ihre Schulter ins Journal. Sie hatte blonde Locken und trug ein pflaumenblaues Kleid mit einer weißen Schärpe.
    »Seit du nicht mehr da bist, habe ich kein einziges Buch mehr zu sehen bekommen«, sagte das Mädchen und blickte finster. »Und das da hat sogar auch noch Bilder! Kann ich es mir vielleicht mal ausleihen?«
    Hesters Herz setzte einen Schlag aus. Unwillkürlich entrang sich ihrer Kehle ein erstickter Schrei. Und dann wurde ihr plötzlich schlecht. Dieses Mädchen war in den letzten zehn Jahren nicht einen Tag älter geworden!
    »Linnie ...« Hester stand auf. Dabei riss sie ihre Tasche zu Boden. Aber das Journal hielt sie fest in den Händen.
    Und dann musste sie sich übergeben. Auf der Stelle. Sie würgte und hustete, spuckte aber nur etwas Speichel zu Boden.
    »Linnie!«, sagte sie mit erstickter Stimme und wischte sich mit dem Ärmel über den Mund. »Linnie!«
    »Geht es dir nicht gut?«
    Hester schüttelte heftig den Kopf. Und mit einem plötzlichen Schwall erbrach sie die kümmerlichen Überreste ihres Mittagessens. »Es tut mir leid«, keuchte sie, sobald es vorüber war. »Wieeklig!« Und gleich darauf fragte sie sich, warum sie sich eigentlich entschuldigte.
    »Warum ... wie ...?«, begann sie vorwurfsvoll.
    »Was ist los, Hester? Bist du krank?«
    »Wie geht es ...« Hester musste ein neuerliches Würgen unterdrücken.
    »Danke, es geht mir sehr gut«, antwortete Linnie höflich.
    »Nein, ich meine, wie es geht, dass du einfach hier stehst? Sieh dich doch mal an!«
    Linnie sah an sich hinab und bückte sich, um ein nicht existierendes Staubkörnchen von ihren rutschenden Baumwollstrümpfen zu zupfen.
    »Du ... du hast dich kein bisschen verändert, Lin! Und jetzt sieh mich an!«, forderte Hester das Mädchen auf.
    Linnie sah sie geradeheraus an. Oder eher in sie hinein, falls das möglich war. »Du siehst genauso aus wie immer, Hester.« Sie legte den Kopf auf die Seite. »Ohne dich war es hier furchtbar langweilig. Warum bist du nicht mehr gekommen?«
    »Weil ich älter geworden bin«, antwortete Hester. Sie hielt sich die Stirn. »Was ist hier eigentlich los?«
    »Du bist das einzige Kind, das mich je gehört hat. Ich wünschte wirklich, du würdest mich wieder besuchen kommen.« Linnie runzelte die Stirn und ihre Augen verdunkelten sich. »Warum bist du lieber mit Ezra zusammen als mit mir?«
    Hester war zu verblüfft, um zu antworten. Sie brachte kein Wort hervor.
    Linnie deutete an ihr vorbei zur Kirche hinab und stampfte mit dem Fuß auf. »Und jetzt ruft Pastor McKee nach dir und ich komme schon wieder zu kurz!«
    Hester wirbelte herum und sah zur Kirche. Sie lag still und ruhig da.
    Sie wandte sich wieder um. Das kleine Mädchen war verschwunden.

Auf der Treppe zur Krypta hinunter wurde Sarah nervös.
    »Ist Ezra dort unten oder ist er es nicht, Pastor? Sagen Sie es mir jetzt bitte!«
    »Es tut mir leid, Mrs. Doyle. Sobald wir miteinander gesprochen haben, werden Sie alles verstehen. Bitte beeilen Sie sich, wir dürfen keine Zeit

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