syrenka
sammelten sich um sie. Vorsichtig hoben sie Noo´kas´ unförmigen Leib vom Thron und begannen ihre Gebieterin, die nun halb in den Armen ihrer Dienerinnen lag, von der Stelle zu bewegen. Vor Hester machten sie halt und umringten sie, während Noo´kas Hester eingehend betrachtete.
Auf einmal brach die Hexe in dröhnendes Gelächter aus – wie über einen Witz, den nur sie kannte. Die Fische, die die Seepocken und Wasserflöhe von ihrer Haut knabberten, stoben davon. Die Dienerinnen lachten mit und keckerten wie Delfine. Sie brachten Noo´kas noch ein Stück näher an Hester heran, sodass sie Hester ihr knochiges Gesicht vor die Nase halten konnte.
»Semiramis ... so sollst du heißen«, sagte sie beinahe liebevoll. »Semiramis«, wandte sie sich dann an die Zuhörerinnen, »Semiramis war die Tochter der Fischgöttin Atargatis. Und die Erfinderin des Keuschheitsgürtels!«
Wieder erhob sich Keckern und das Geräusch Tausender kehliger Klick-Laute, was wie begeisterter Applaus klang.
»Semiramis! Semiramis!«, jubelten die Dienerinnen gedämpft.
Hester schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn. Hört auf! , rief sie innerlich. Sie hatte aber nicht den Mut, es laut auszusprechen.
Noo´kas hob ihre geöffnete Hand und wartete. Eine Dienerin schwamm eilig davon und kam mit einer dünnen Lanze zurück, die sie ihrer Meisterin in die Hand legte.
Wie hypnotisiert sah Hester zu, als Noo´kas die Lanze hob und eine unverständliche Beschwörungsformel vor sich hin murmelte. Sie löste eine Schuppe von ihrer Flosse, spießte sie mit der Speerspitze auf und schob sie energisch Richtung Schaft.
Nein! , durchfuhr es Hester.
Irgendetwas in ihr bewegte sich und erwachte. Sie musste fliehen! Sie drehte sich um, versuchte, sich von der Felsplatte abzustoßen und an die Oberfläche hinaufzuschwimmen.
Lautlos glitt die Lanze durch das Wasser und bohrte sich von hinten in Hesters rechten Oberschenkel. Hester krümmte sich vor Schmerz, und augenblicklich begann ihr Körper wieder zu Boden zu sinken. Sie schrie auf, langte hinter sich und zog dieKlinge aus ihrem Fleisch. Blut wallte in rauchartigen Gebilden aus der Wunde. Eine Dienerin kam und holte die Lanze zurück.
»Semiramis! Semiramis!«, riefen die Dienerinnen.
»Warum ...?«, wimmerte Hester. Sie ruderte umher und versuchte Schwimmbewegungen zu machen, was aber nur mit den Armen und ihrem linken Bein funktionierte. Das rechte Bein, das sich wie tot anfühlte und gleichzeitig schmerzte, zog sie hinter sich her. Ihr Blut umgab sie nun wie eine Wolke. Sie entdeckte Needa unter den Dienerinnen und reckte ihr den Arm entgegen. Hilf mir! , bat sie lautlos mit den Lippen. Needa schüttelte den Kopf, runzelte aber ihre Augenbrauen, als ob sie so etwas wie Mitleid empfinden würde. Jetzt legte die Dienerin erneut die Lanze in Noo´kas´ wartende Hand. Die Meereshexe nahm eine weitere Schuppe von ihrem Schwanz, schob sie über den Speer und zielte mit offensichtlichem Vergnügen.
Panisch arbeitete Hester sich über den felsigen Grund voran. Sie suchte nach einer Öffnung in Noo´kas´ Berg aus Schätzen. Dabei wusste sie selbst, dass es aussichtslos war. Sie war in ihren Bewegungen stark eingeschränkt und die Dienerinnen schwammen wie Delfine. Flucht war ausgeschlossen. Hester würde ihr Leben auf dem Meeresgrund beenden, unter den Augen Hunderter Sirenen.
Wie ein glühendes Eisen bohrte sich die Lanze in ihre linke Wade. Hester brach zusammen, und als ihre Wange den Boden berührte, sah sie eine Wolke aus Blut und Staub um sich herum emporsteigen. Bevor sie ohnmächtig wurde – bevor ihr Körper Mitleid mit ihr hatte und durch den Verlust des Bewusstseins die Wahrnehmung ihrer Schmerzen unterband –, blieb ihr Blick am Fuße des Schatzes an einem Objekt hängen. Es war ein Flachmann. Eigentlich bestand er wohl aus Sterling Silber, nun aber war er mit grünschwarzen Algen bewachsen. Das eingravierte Monogramm war noch schwach zu erkennen: MMM.
Irgendetwas regte sich in Hester, eine Erinnerung an ihre Vergangenheit, eine Verbindung zu ihrem Leben an Land. Durch die wogende Staubwolke hindurch streckte sie ihre zitternde Hand aus. Sie fasste den Flachmann so fest sie konnte und drückte ihn an ihr Herz.
Als Hester zu sich kam, lag sie auf einem Lager aus Seetang. Needa bestrich ihre Wunden, die auf wundersame Weise geschlossen waren, mit einer gallertartigen Masse. Um die Einstiche herum war Narbengewebe entstanden. Die Haut war dünn, runzelig und bleich wie nach einer
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