System Neustart
der Rückseite stellt den ursprünglichen Zustand dar?«, hatte Milgrim gefragt.
»Nein«, hatte sie gesagt, »das ist das, was man dort ohne technische Hilfsmittel sieht. Das Bild auf der Vorderseite zeigt die erweiterte Realität. Das Konstrukt ist an das GPS-Netz gebunden. Um es sehen zu können, muss man an diesen Ort fahren und ein AR-Gerät benutzen.«
»Davon habe ich noch nie gehört«, hatte Milgrim erwidert und sich Vorder- und Rückseite noch einmal angeschaut.
»Als ich das Buch geschrieben habe, gab es noch keine kommerziell erhältliche Hardware. Die Leute haben sich ihre eigene zusammengebastelt. Heute gibt es das als App fürs iPhone. Damals war es eine Menge Arbeit, die Kunstwerke richtig wiederzugeben. Wir mussten Fotos mit hoher Auflösung von den Standorten machen, aus so vielen Blickwinkeln wie möglich, und diese dann mit den entsprechenden Ansichten der Konstrukte verbinden. Daraus haben wir schließlich eine Auswahl getroffen.«
»Haben Sie das selbst gemacht?«
»Ich habe die Bilder ausgewählt. Die Fotos und das Design stammen von Alberto. Das Newton-Denkmal ist eines seiner Werke. Aber er hat auch die anderen alle reproduziert.« Sie schob sich eine Haarsträhne aus den Augen. »Locative Art hatte ihren Ursprung vermutlich in London. Dort gibt es auch eine ganze Menge Kunstwerke. Allerdings habe ich nicht viele davon gesehen, weil ich mich eher auf die amerikanischen Künstler konzentriert habe. Das ist ein übersichtlicheres Feld. Außerdem wird diese Kunst von einem merkwürdig unmittelbaren Ortsgefühl bestimmt. Ich dachte, dass ich in den Staaten eine etwas bessere Chance hätte, sie zu verstehen.«
»Sie müssen sich mit Kunst sehr gut auskennen.«
»Nein, gar nicht. Darauf bin ich eher zufällig gestoßen. Obwohl, das stimmt nicht. Bigend hat vorgeschlagen, dass ich es mir mal anschaue. Damals wusste ich allerdings noch nicht, dass er dahintersteckt.«
Milgrim hatte seinen Daumennagel unter die Plastikfolie des Buches geschoben. »Danke«, hatte er gesagt. »Es sieht sehr interessant aus.«
Jetzt klappte sie das schwarze Buch zu und sah, dass er sie anschaute. Sie lächelte.
»Was lesen Sie gerade?«, fragte er.
»Einzelgänger, männlich von Geoffrey Household. Es geht um einen Mann, der versucht, Hitler umzubringen, oder jedenfalls jemanden, der Hitler sehr ähnlich sieht.«
»Und, taugt es was?«
»Ja, es ist sehr gut. Allerdings scheint das Ziel eher zu sein, ins Herz der britischen Landbevölkerung vorzudringen. Der dritte Akt spielt komplett in einer Hecke, im Inneren eines Dachsbaus.«
»Mir gefällt Ihr Buch. Das ist so, als könnte man seine Träume einfrieren und sie an bestimmten Orten zurücklassen. Und andere Leute können hingehen und sie sich anschauen, wenn sie wissen, wie man das macht.«
»Danke«, sagte sie und legte Einzelgänger, männlich auf den Tisch, ohne sich die Mühe zu machen, ein Lesezeichen hineinzustecken. »Haben Sie sich die Kunstwerke alle selbst angeschaut?« »Ja.«
»Welches mochten Sie am liebsten?«
»River Phoenix auf dem Gehsteig. Das war das erste, das ich gesehen habe. Ich bin nie dorthin zurückgekehrt. Aber es hat einen starken Eindruck auf mich hinterlassen. Ich glaube, das war auch der Grund, warum ich beschlossen habe, dieses Buch zu schreiben.«
Milgrim klappte Presences zu. Er legte das Buch auf den Tisch, gegenüber von Einzelgänger, männlich. »Mit wem werden wir uns in Paris treffen?«
»Mit Meredith Overton. Sie hat am Cordwainers studiert, Schuhdesign und Leder. Jetzt lebt sie in Melbourne. Jedenfalls bis vor Kurzem noch. Sie ist in Paris auf dem Salon du Vintage, um etwas zu verkaufen. Sie ist mit einem Keyboarder namens George zusammen, der in einer Band spielt, die Bollards heißt. Kennen Sie die?«
»Nein«, sagte Milgrim.
»Ich kenne noch ein weiteres Bandmitglied und außerdem den Produzenten ihres aktuellen Albums.«
»Und sie weiß etwas über Gabriel Hounds?«
»Der andere Bollard sagt, sie habe in London jemanden gekannt, als sie noch am Cordwainers war, der jemanden gekannt hat, der an der Gründung der Marke beteiligt war.«
»Sie wurde in London gegründet?«
»Ich weiß es nicht. Clammy ist Meredith in Melbourne begegnet. Sie trug Hounds, und er wollte welche. Sie wusste, wo man sie in Mel bourne bekommen konnte. Damals wurden ein paar davon auf einem Kunstmarkt verkauft. Er ist mit ihr hingegangen und hat sich eine Jeans gekauft. Angeblich war der Verkäufer Amerikaner.«
»Warum glauben
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