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System Neustart

System Neustart

Titel: System Neustart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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sagte er und vergewisserte sich, dass der Gurt seiner Tasche sicher über seiner Schulter lag.
    »Etwas taugt?«
    »Dass er besonders bedrohlich wäre.«
    Er öffnete die Tür, bevor das Taxi richtig angehalten hatte. Der Fahrer schimpfte. »Entschuldigung«, sagte Milgrim, als der Wagen zum Stehen kam. Dann schlüpfte er hinaus und schloss die Tür hinter sich.
    Als er vom Gehsteig zurückblickte, sah er Hollis lächeln. Sie gab dem Fahrer ein paar Anweisungen, und das Taxi fädelte sich wieder in den Verkehr ein.
    Er betrat rasch die Galeries Lafayette und ging weiter, bis er sich unter dem hoch aufragenden Buntglas-Kuppeldach der Handelsmoschee befand. Wie er so dastand und hinaufblickte, überkam ihn einen Moment lang das naive, ehrfürchtige Staunen, das der Architekt hatte wecken wollen. Eine Mischung aus Grand Central und der Eingangshalle des Brown Palace in Denver. Bauwerke, die auf eine heroische Zukunft verwiesen, die nie Wirklichkeit geworden war. Die einzelnen Stockwerke wurden von breiten Baikonen gesäumt, die sich ringförmig zur Kuppel hinaufzogen. Dahinter konnte er statt eines Publikums den oberen Teil von Kleiderständern sehen. Aber wenn es ein Publikum gegeben hätte, dann hätte sich Milgrim genau an der Stelle befunden, wo die dicke Frau ihre Arie angestimmt hätte.
    Er zog den Faraday-Beutel hervor und holte das Neo heraus, setzte es der komplexen Mischung an Signalen aus, die an diesem Ort existieren mochte. In seiner kindisch wirkenden Taschentuchhülle begann es zu läuten.
    Sleight hatte es so eingerichtet, dass es beinahe unmöglich war, den Klingelton abzustellen. Aber Milgrim drehte die Lautstärke ganz herunter und steckte das Neo in die Seitentasche seiner Jacke. Es vibrierte ein paarmal und verstummte dann. Er nahm es noch einmal heraus, öffnete das Taschentuch, um einen Blick auf die Uhrzeit zu werfen, wobei er darauf achtete, das Handy nicht zu berühren, und steckte es dann wieder ein.
    Er verfügte über den Rest der dreihundert Pfund, die er noch nicht umgetauscht hatte, die Euros, die Hollis ihm gegeben hatte, und außerdem über einen dünnen Packen Euroscheine, die von seinem Taschengeld in Basel übrig geblieben waren. Er beschloss, in seine eigene Zukunft zu investieren, die deutlich näher lag als jene, die die Bauherren der Galeries Lafayette vor Augen gehabt hatten.
    Er ging in die Abteilung für Herrenbekleidung, das sich in einem Nebengebäude befand, und kaufte sich schwarze französische Unterhosen und schwarze Sportsocken aus Baumwollmischgewebe, wofür er beinahe sein ganzes Basel-Geld ausgab. Die Euroscheine erinnerten ihn vage an das ursprüngliche Tomorrowland im Disneyland-Park — in seiner Kindheit hatte er mit seiner Mutter einen Ausflug dorthin unternommen.
    In seiner Tasche begann erneut das Neo zu vibrieren. Er kümmerte sich nicht weiter darum und versuchte sich Sleights Gesicht vorzustellen. Aber Sleight wusste, wo sich Milgrim befand, und wahrscheinlich hatte er auch gehört, was der Mann an der Kasse zu Milgrim gesagt hatte, als er die Socken- und Unterwäsche-Transaktion vorgenommen hatte. Milgrim selbst hatte dabei nur leise entschuldigende Brummtöne von sich gegeben. Er hoffte, dass durch das Taschentuch alle Geräusche ein wenig gedämpft klangen, aber wahrscheinlich spielte das keine Rolle.
    Er ging in das Hauptgeschäft zurück und fuhr Rolltreppen hinauf und hinab, die ihn ins Reich der Unterwäsche, der Sportbekleidung und der kleinen Schwarzen brachten. Wenn er genau gewusst hätte, wie viel Zeit er hatte, hätte er nach der Möbelabteilung gesucht. Die Möbelabteilungen großer Einkaufshäuser waren meist Oasen der Stille. Er fand sie immer sehr beruhigend. Außerdem konnte man dort in der Regel sehr gut feststellen, ob man verfolgt wurde. Aber er glaubte nicht, dass er auf diese Weise verfolgt wurde.
    Er durchquerte eine Ralph Lauren-Abteilung und eine kleinere, in der Hilfiger ausgestellt war, und gelangte zu einer Balustrade, von der aus man einen Ausblick auf den zentralen Innenhof hatte. Als er hinuntersah, entdeckte er Laubfrosch, der vom Boulevard Haussmann kommend quer über den Innenhof lief. Nimm die Mütze ab, dachte er. Ein Profi hätte zumindest das getan und auch die schwarze Jacke ausgezogen.
    Als Laubfrosch beinahe dieselbe Stelle erreicht hatte, wo Milgrim selbst stehen geblieben war, um hochzublicken, hielt er ebenfalls inne, um sich die Kuppel anzuschauen. Milgrim trat einen Schritt zurück, weil er wusste, dass

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