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System Neustart

System Neustart

Titel: System Neustart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Laubfroschs Blick als Nächstes über die Balustraden schweifen würde. Und tatsächlich geschah genau das.
    Du weißt, dass ich hier bin, dachte Milgrim. Aber du weißt nicht genau, wo ich mich befinde. Er sah, dass Laubfrosch etwas sagte. Vermutlich sprach er über ein Headset mit Sleight.
    Einen Moment später befand sich Milgrim allein in einem Fahrstuhl und drückte den Knopf für das oberste Stockwerk. Sein Improvisationsmodul hatte sich eingeschaltet, und er war offen für alles.
    Der Fahrstuhl hielt im nächsten Stockwerk. Die Tür glitt auf und wurde kurz von einem dicken, in grauschwarzen Stoff gehüllten Arm festgehalten, der zu einem großen Mann gehörte.
    »Wirklich schade, dass du nicht mehr in der Innenstadt wohnst«, sagte eine hochgewachsene Blondine auf Russisch zu einer anderen jungen Frau neben ihr, die ebenso groß und ebenso blond war. Die zweite Blondine rollte einen wuchtigen Kinderwagen in den Aufzug, eine Art Luxus-Babytransporter auf drei wulstigen Rädern, der offenbar ganz aus Kohlenstoffasern und Sharkskin bestand und genauso grau war wie der Anzug des Leibwächters.
    »Die Vorstadt ist schrecklich«, erwiderte die Mutter auf Russisch und zog mit einem Schnippen ihres Fingers die Handbremse an. »Eine Villa. Zwei Stunden. Hunde. Wachen. Schrecklich.«
    Der Leibwächter betrat den Fahrstuhl und musterte Milgrim mit finsterem Blick. Milgrim wich so weit wie möglich zurück und sah zu Boden. Ein Handlauf drückte ihm schmerzhaft in die Hüfte. Die Tür schloss sich, und der Aufzug fuhr nach oben. Milgrim riskierte einen kurzen Blick zu den beiden Frauen und bedauerte es sofort, weil er dadurch die Aufmerksamkeit ihres hünenhaften Bewachers auf sich zog. Er sah rasch wieder zu Boden. »Aber er kann doch nicht so viel verloren haben«, sagte die erste Blondine.
    »Er hatte eine Menge Fremdkapital aufgenommen«, sagte die Mutter.
    »Und was bedeutet das?«
    »Dass wir keine Wohnung mehr in Paris haben und in den Galeries Lafayette einkaufen müssen«, sagte die Kinderwagenschieberin verbittert.
    Milgrim, der seit seiner Abreise aus Basel kein Russisch mehr gehört hatte, verspürte ein merkwürdiges Entzücken, trotz der übellaunigen Gegenwart des Leibwächters und dem Handlauf in seiner Hüfte. Der Aufzug hielt an, die Tür ging auf, und eine großgewachsene junge Pariserin trat ein. Als sich die Tür schloss, sah Milgrim, dass sich die Aufmerksamkeit des Leibwächters nun ganz auf das Mädchen richtete, das er mit kaum weniger finsteren Blicken musterte. Die schlanke Brünette betrachtete Milgrim und die beiden russischen Frauen mit einer Art gutmütiger Geringschätzung, ohne auf den Leibwächter zu achten.
    Als der Aufzug erneut hielt und die Tür aufging, nahm Milgrim das Neo aus der Jacke und steckte es in eine Tasche des Sharkskin-Bezugs an der Vorderseite des Super-Kinderwagens. Dort gesellte es sich zu den Spielzeugen, Döschen mit Creme oder vielleicht auch Kaviar und allem, was man für einen Nachwuchs-Oligarchen sonst noch so brauchte. Das tat er, wie ein Taschendieb ihm einmal geraten hatte, ganz so, als sei es nicht nur vollkommen selbstverständlich, sondern sogar dringend erforderlich. Er sah zu dem Leibwächter hoch, dessen Blick jedoch immer noch auf die Brünette gerichtet war. Diese drehte sich gerade gazellenhaft und zutiefst gelangweilt um und ging an dem Leibwächter vorbei aus dem Aufzug, während die Kinderwagenschieberin die Bremse löste und das Ding hinauszerrte.
    Der Leibwächter musterte Milgrim erneut, verließ dann jedoch ebenfalls rasch den Aufzug, um seine Schützlinge nicht aus den Augen zu verlieren.
    Milgrim rührte sich nicht von der Stelle, als sich die Türen schlossen und der Fahrstuhl weiter nach oben fuhr.
    »Hunde«, sagte er zu Sleight, der ihn nicht mehr länger hören konnte, »Wachen.«

27. Japanischer Baseball
    »Na, wie ist Paris?« Das Bild, das bei Heidis Anruf auf dem Display ihres iPhone erschien, war ein Jahrzehnt alt, schwarzweiß und grobkörnig. Jimmys weißer Fender-Bass unscharf im Vordergrund.
    »Keine Ahnung«, sagte Hollis. Sie befand sich in der Sèvres -Babylone und wechselte den Bahnsteig; die Räder ihres Koffers klackerten gleichmäßig, wie ein Metronom. Sie hatte beschlossen, Milgrims Sorgen ernst zu nehmen - im Zweifel für den Angeklagten. Also folgte sie jetzt einer zufälligen Route durch die Metro, fuhr immer nur ein kurzes Stück, stieg oft um und machte unvermittelt kehrt. Falls ihr irgendjemand folgte, hatte sie

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