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Szenen aus dem Landleben - Die Bauern (German Edition)

Szenen aus dem Landleben - Die Bauern (German Edition)

Titel: Szenen aus dem Landleben - Die Bauern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Kühe gingen, eingerammt worden war; dann zeigte er seinen Kopf in der Tür des »Grand-I-Vert«.
    »Auf, auf, liebe Kinder, verlieren wir keine Zeit,« sagte er, indem er sich sehr eilig stellte.
    »Ach,« fing Vermichel an, »hier gibt's einen Widerspenstigen, Monsieur Brunet, Vater Fourchon hat's Zipperlein!«
    »Er hat mehrere Zipperleins,« [Fußnote: Wortspiel mit goutte = Zipperlein und goutte = Tropfen.] antwortete der Gerichtsdiener, »doch das Gesetz verlangt nicht von ihm, daß er nüchtern ist.«
    »Verzeihung, Monsieur Brunet, ich werde Geschäfte halber in Les Aigues erwartet,« sagte Fourchon, »wir stehen einer Otter wegen in Unterhandlung ...«
    Brunet, ein kleiner hagerer Mann mit galligem Teint, ganz in schwarzes Tuch gekleidet, mit rotgelben Augen, krausem Haar, zusammengepreßtem Munde, einer winzigen Nase, unruhiger Miene, heiserer Stimme zeigte das Phänomen einer Physiognomie, einer Haltung und eines Charakters, die mit seinem Berufe in Einklang standen. Er hatte das Recht oder, besser gesagt, die Rechtsverdrehung so gut im Kopfe, daß er zu gleicher Zeit Schrecken und Ratgeber des Kreises war: auch entbehrte er einer gewissen Popularität bei den Bauern nicht, von denen er sich die meiste Zeit mit Lebensmitteln bezahlen ließ. Alle seine aktiven und negativen Eigenschaften und diese Lebensart brachten ihm, mit Ausschluß seines Gevatters, Meister Plissoud, von dem später die Rede sein soll, die Klientschaft des Kreises ein. Der Zufall, daß einer der Gerichtsdiener alles tut, und der andere nichts tut, kommt auf dem platten Lande bei Friedensgerichten häufig vor.
    »Es eilt also?« fragte Tonsard den Vater Brunet.
    »Was wollt Ihr? Ihr plündert den Mann ja auch zu sehr aus, er verteidigt sich,« antwortete der Gerichtsdiener. »Alle Eure Sachen werden übel auslaufen, die Regierung wird sich dreinmischen!«
    »Wir Unglücklichen sollen also krepieren?« fragte die Tonsard und bot dem Gerichtsdiener ein kleines Glas auf einem Teller an.
    »Die Unglücklichen können krepieren, man wird an ihnen niemals Mangel haben,« sagte Fourchon sententiös.
    »Ihr verwüstet die Wälder aber auch zu sehr!« erwiderte der Gerichtsdiener.
    »Glauben Sie doch das nicht, Monsieur Brunet; gehen Sie, man schlägt einiger elender Reisigbündel wegen allzu großen Lärm!« sagte die Tonsard.
    »Man hat die Reichen in der Revolutionszeit nicht genug rasiert; das ist alles!« bemerkte Tonsard.
    In diesem Augenblick hörte man einen Lärm, der schrecklich war, weil man ihn sich nicht erklären konnte. Der Galopp zweier rasender Füße, vermischt mit einem Waffengeklirr, übertönte ein Krachen von Blättern und Zweigen, die von noch schnelleren Füßen gezogen wurden. Zwei Stimmen, die ebenso verschieden waren wie die beiden Galoppe, stießen kreischende Ausrufe aus. Alle Leute in der Wirtschaft errieten die Verfolgung eines Mannes und die Flucht eines Weibes, doch aus welchem Anlasse? ... Die Ungewißheit sollte nicht lange währen.
    »Das ist die Mutter,« sagte Tonsard, sich aufreckend, »ich erkenne sie an ihrem Mundwerk!«
    Und plötzlich, nachdem sie die elenden Stufen des »Grand-I-vert« mit einer letzten Anstrengung erklommen hatte, deren Energie man nur bei Schmugglerkniekehlen antrifft, fiel die alte Tonsard, alle viere von sich streckend, mitten in die Schenke. Die ungeheure Holzschicht ihres Bündels machte einen furchtbaren Lärm, da sie krachend oben gegen Tür und Decke stieß. Alles war beiseite gesprungen. Die Tische, Flaschen und Stühle, die im Bereiche der Zweige standen, flogen auseinander. Das Gepolter würde nicht so groß gewesen sein, wenn die Hütte eingestürzt wäre.
    »Gleich bin ich tot! Der Schuft hat mich getötet!«
    Der Schrei, die Handlung und das Laufen des alten Weibes klärten sich auf durch das Erscheinen eines Wächters auf der Schwelle. Dieser war ganz in grünes Tuch gekleidet, trug einen mit Silberschnüren bordierten Hut, den Säbel an der Seite, das lederne Wehrgehenk mit dem Wappen Montcornets und dem der roisvilles vereint, eine rote Ordonnanzweste und bis zum Knie reichende Ledergamaschen.
    Nach einem Moment des Zauderns sagte der Wächter, als er Brunet und Vermichel sah:
    »Ich habe Zeugen!«
    »Wofür?« fragte Tonsard.
    »Das Weib hat in ihrer Traglast eine zehnjährige in Knüppel geschnittene Eiche ... ein wahres Verbrechen!«
    Sobald das Wort Zeugen gefallen war, hielt es Vermichel für besser, im Hofraume frische Luft zu schöpfen.
    »Wofür! ... Wofür!

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