T Tödliche Spur: Thriller (German Edition)
Flure und gelangte schließlich in einen großen Raum, der einst als Rezeption gedient haben musste. Der Raum war leer, abgesehen von einem kaputten Schreibtisch, den man an eine der Wände geschoben hatte. Der Staub lag fingerdick darauf.
Hinter dem Empfang befand sich ein geräumiges Büro, das vermutlich dem Anstaltsleiter, Avas Onkel Crispin Church, gehört hatte. Die Aktenschränke waren leer, eine Kredenz mit einem abgebrochenen Bein stand vor einem offenen Lüftungsschacht.
Bislang war er auf nichts Interessantes gestoßen, zumindest nicht im Erdgeschoss, auch seine Suche in den Reihenhäusern und Nebengebäuden war ergebnislos verlaufen. Blieben nun noch die oberen Stockwerke der Klinik, wahre Irrgärten aus Gängen und Stationen, Gruppenräumen und Behandlungszimmern. Die verlassene Anstalt wirkte unheimlich, aber Dern war niemand, der sich leicht Angst einjagen ließ. Die Sache mit dem Kindersarg im Garten, die war unheimlich gewesen, es grenzte an ein Wunder, dass Ava nicht den Verstand verloren hatte.
Der erste Stock war nahezu identisch angelegt wie das Erdgeschoss, nur dass sich dort, wo unten die Rezeption und das Büro des Anstaltsleiters waren, eine Küche und ein Speisesaal befanden.
Oben gab es mehr Mobiliar. Ein Bett mit einer fleckigen Matratze stand mitten in einem der Krankenzimmer, in einem größeren Raum daneben lehnten zwei nackte Bettrahmen an der Wand. Jemand hatte einen Stuhl aus den Siebzigern vors Fenster geschoben, aus dem aufgeschrammten Kunstleder quoll die Polsterung hervor.
Nichts, was für ihn von Interesse war.
Dern stieg die Treppe zum obersten Stock des dreigeschossigen Gebäudes empor. Bis auf die Wasserflecke unter der Decke sah es hier genauso aus wie in den beiden anderen. Auch hier gab es Schwesternstationen und einen Gemeinschaftsraum, doch diesmal verspürte er ein besorgtes Kribbeln, als er die Gänge entlangging. Vor einem Eckzimmer, das sich nur durch seine beiden Fenster von den übrigen unterschied, blieb er stehen.
War die Staubschicht auf dem Fußboden aufgewirbelt oder unberührt? Einen Augenblick lang meinte er, einen Schuhabdruck zu erkennen, doch das Licht hatte ihn getäuscht.
Das Zimmer war leer, sein berühmter Bewohner hatte keine Spuren hinterlassen.
»Wo zum Teufel steckst du, Reece?«, knurrte Dern. Seine Stimme hallte von den rissigen Mauern wider. Der Mann war wie ein Geist, der diese Insel und das Städtchen Anchorville heimsuchte und auch nach so vielen Jahren noch Angst und Schrecken verbreitete. Bereits zu Lebzeiten galt Lester Reece als wahres Monster, doch seit seinem mysteriösen Verschwinden war er hier in der Gegend zur Legende geworden. Die alten Käuze in der Bar hatten recht gehabt: Wie D.B. Cooper, der in den Sechzigern mit zweihunderttausend Dollar und zwei Fallschirmen aus einem gekaperten Flugzeug gesprungen war, hatte Lester Reece seine Bewunderer – Menschen, die fasziniert waren von Verbrechern, die den Fängen der Justiz entrinnen konnten. Lester Reece war ihnen tatsächlich entronnen, das Geld, das er gestohlen hatte, war nie wieder aufgetaucht, genauso wenig wie er selbst, doch sein Mythos lebte weiter.
Und Dern sollte entweder beweisen, dass der Scheißkerl tot war, oder sein erbärmliches Fell ein für alle Mal an die Wand nageln.
Er trat ans Fenster, blickte durch das schmutzige Glas auf die äußere Fensterbank hinaus, die voller Vogeldreck war. An der Wand entdeckte er schwarze Flecke, wo jemand Zigaretten ausgedrückt hatte. Wann? Womöglich erst vor kurzem?
Wieder verspürte er ein unheimliches Kribbeln. Er schnupperte und meinte, ganz schwach abgestandenen Rauch riechen zu können … doch vielleicht ging seine Fantasie mit ihm durch.
Es war unmöglich zu sagen, ob die schwarzen Flecke frisch oder Jahre alt waren.
»Verflucht«, murmelte er und spähte weiter aus dem schlierigen Fenster. Von hier aus konnte man bis zur felsigen, baumgesäumten Küste des Festlands blicken. Dorthin war Lester Reece geflohen, zumindest wenn man denen Glauben schenkte, die meinten, er sei noch am Leben.
Vielleicht war er das.
Vielleicht auch nicht.
Ein Licht blinkte auf, das seine Aufmerksamkeit weckte. Er schaute in nördliche Richtung. Dort, kaum zu erkennen hinter den Bäumen, war ein helles Viereck, das aussah wie ein erleuchtetes Fenster.
»Was zum Teufel ist das denn?«, flüsterte er und reckte den Hals, um besser sehen zu können. Und tatsächlich, hinter einer Schneise am Hang, dort, wo nur wenige Bäume
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