T Tödliche Spur: Thriller (German Edition)
der dritte Mann ein, ein hagerer Bursche mit Zahnlücken, der ein abgetragenes Flanellhemd und ausgebeulte Jeans trug, und schob dem Barkeeper sein leeres Glas zu. »He, Hal, ich nehm noch eins.«
In dem Augenblick klingelte das Telefon. »Kommt sofort, Corky«, erwiderte der Barkeeper, klemmte sich den Hörer zwischen Ohr und Schulter und zapfte ein frisches Budweiser.
»Ich habe gehört, eine Dr. Phee – oder so ähnlich –, aus Anchorville hätte dort drüben gearbeitet.« Dern nickte in Richtung des Spiegelglasfensters mit seinem grell leuchtenden Neonschild, das auf die Bucht hinausging. Bei klarem Wetter konnte man von hier aus die Insel erkennen.
»McPherson.« Gil schüttelte seine weiße Mähne. »Kann sein. Keine Ahnung.«
»Ja«, schnatterte der hagere Kerl. »McPherson, so heißt sie. Die hat tatsächlich da gearbeitet. Meine Tante hat eine Therapie bei ihr angefangen, ist schon ’ne ganze Weile her. Damals hatten die da drüben auch Praxisräume außerhalb der verdammten Klinik.«
»Auf der Insel?«
»Ja. Aber die wurden ebenfalls dichtgemacht. Tante Audrey war eh nur ungern dort, es war ihr unheimlich, so nahe bei den Irren. Hat die Therapie nach drei Sitzungen abgebrochen.«
»Und was macht Dr. McPherson jetzt?«
Corky zuckte die Achseln. »Hat irgendwo eine Praxis.«
»Hier in Anchorville?«, hakte Dern nach.
»Ja, in der Nähe der Third Street. Aber sie fährt immer noch rüber zur Insel.« Er nickte, als wolle er sich selbst beipflichten. »Die Frau, der dort fast alles gehört, ist komplett wahnsinnig, seit ihr Kind ertrunken ist.«
Die Muskeln in Derns Nacken spannten sich an.
»Verschwunden ist«, korrigierte Gil. »Man hat seine Leiche nie gefunden.«
Corky schnaubte. »Wenn der Junge am Leben wäre, wär er doch mittlerweile längst aufgetaucht.« Er griff nach dem Bier, das Hal ihm über den zerschrammten Tresen hinweg zuschob. »Danke. Ein paar Leute glauben übrigens, dass Lester Reece nach seiner Flucht zurückgekehrt ist und sich den Kleinen geschnappt hat.«
»Der Kerl, der in Sea Cliff weggesperrt war?«, fragte Dern, darum bemüht, nicht allzu viel Interesse zu zeigen.
»Jawoll.« Corky nahm einen großen Schluck aus seinem Glas.
»Reine Spekulation«, widersprach Gil. »Wahrscheinlich ist auch Reece längst tot.«
»Nee, das glaub ich nicht.« Corky schüttelte den Kopf. »Es gibt hier so einige Leute, die behaupten, ihn gesehen zu haben.«
»In letzter Zeit?«, fragte Dern.
»Quatsch.« Gil verzog sein Gesicht. »Seit seiner Flucht hat ihn niemand mehr gesehen.«
»Aber der alte Remus Calhoun …«, wandte Corky ein.
»Ist ein dreister Lügner. Er sorgt gern für Unruhe.« Gil ließ sich nicht davon abbringen, dass die Gerüchte falsch waren. »Remus behauptet auch, Big Foot gesehen zu haben, außerdem schwört er, er sei bei seiner Schottlandreise Nessie begegnet – ein wirklich glaubwürdiger Zeuge.« Er trank, dann wischte er sich kopfschüttelnd den Mund mit dem Ärmel ab.
»Dann hat man Reece also nie wiedergesehen?«, wollte Dern wissen. Der schweigsame Kerl schüttelte den Kopf, und selbst Corky ließ es dabei beruhen.
»Wahrscheinlich ist er bei seiner Flucht von der Insel ertrunken – ihr wisst schon, so wie die Kerle, die versucht haben, aus Alcatraz auszubrechen«, dachte Gil laut nach. »Einer von der Familie Church behauptet, er habe ihn an jenem Tag davonschwimmen sehen.«
»Wer denn?« Das wollte Dern doch zu gern genauer wissen.
»Oh, ähm … Moment …« Er dachte angestrengt nach. »Der Bruder von dem Mädchen im Rollstuhl. Wie heißt er noch gleich? Jim oder Jack oder …«
Corky schnaubte verächtlich. »Jacob.«
»Ja, stimmt«, pflichtete Gil ihm bei. »Der Computerfreak.«
Der Schweigsame nickte wieder.
»Der alte Lester ist so etwas wie unsere ganz persönliche Elvis-Version«, fügte Gil hinzu. »Die Leute glauben, ihn gesehen zu haben, genau wie sie es seit ewiger Zeit beim King tun, aber wie wir alle wissen, ist er längst tot.« Er brach in lautes Gelächter aus, das in einen keuchenden Hustenanfall überging. Sein bleiches Gesicht wurde knallrot.
»Alles okay, Gil?«, fragte der Barkeeper. Gil fing sich wieder, trank einen Schluck und nickte.
»Ja«, stieß er krächzend hervor und räusperte sich.
»Vielleicht solltest du auf Mentholzigaretten umsteigen«, schlug Corky vor.
»Und vielleicht solltest du die Klappe halten.« Gil warf Corky einen bösen Blick zu, den der kleinere Mann jedoch nicht zu bemerken
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