Tablettenfee
Hundert umstellen.
Er war, was er war. Was er geworden war. Aber er wusste auch, dass er selbst daran schuld war. Bianca schien sein Blocken aber sofort zu sehen. Mit ein wenig Enttäuschung kommentierte sie seine Reaktion.
»Du bist so verkrampft. Du bist sogar zu verkrampft, um Spaß zu haben.« Sie zog ihre Hand unter der Decke hervor, roch kurz daran und rümpfte ein wenig die Nase. Während sie sich auf den Weg in Richtung Waschbecken machte und dort ihre Hände einseifte, fuhr sie fort: »Ich weiß aber auch, was daran schuld ist. Deine Umgebung. Dein Umfeld. Dein Leben. Dass du dich bis dato nie gegen diese Typen in deiner Firma durchgesetzt hast. Du bist immer unter Druck und Beobachtung gewesen, du konntest – und wolltest wahrscheinlich auch – nie du selbst sein. Du hast immer unter Zwängen und Konventionen gelebt. Ich kenne solche Leute. Sei mir nicht böse, wenn ich dir das auf den Kopf zusage. Ich glaube fast, ihr sucht mich als Therapiestation auf.«
»Lebst du etwa nicht auch mit oder unter Zwängen und Konventionen? Gerade als Krankenschwester muss man sich doch sicherlich auch an jede Menge Regeln halten. Oder etwa nicht?«
Udo reagierte mit Missmut. Auch wenn sie mit der Aussage recht hatte – woher nahm sie dennoch das Recht ihn anzugreifen?
»Doch schon. Aber erstens bin ich nicht die Art von Mensch, die sich diesen Zwängen bedenkenlos unterwirft, und zweitens bin ich auch vom Charakter her schon so gefestigt, dass mich auch starke Menschen in meinem Umfeld – so sehr sie eventuell auch Druck auf mich ausüben – kaum nach unten ziehen können.«
›Zsccchhh! Blop!‹ Als Nachsatz und Bestätigung des eben Gesagten, ließ sie eine der im Krankenhaus untersagten Kaugummiblasen vor seiner Nase platzen.
»Du hast stets Befehle anderer ausgeführt anstatt deine eigenen Ideen zu leben. Und wenn du mal versucht hast, daraus auszubrechen, bist du – so wie bei der Präsentation, von der du erzählt hast – gnadenlos untergebuttert worden.«
»Ja, da hast du sicher recht«, pflichtete Udo ihr etwas kleinlaut bei.
»Aber ich kann nicht raus aus meiner Haut. Ich habe dir ja erzählt, wie das neulich in der Firma abging. Und jetzt hat mir dieser Leitner-Arsch schon wieder den nächsten Strick gedreht. Angeblich ist mir irgendwer auf ›die Schliche‹ gekommen – dabei habe ich nie etwas Böses gemacht.«
Er merkt den Kloß in seinem Hals. Bianca nahm seine Hand.
»Man sollte dir helfen. Äh ... ich meine, ich sollte dir helfen. Du hättest es verdient. Du bist so ein netter Kerl, aber lässt dich dermaßen unterdrücken, dass du einem echt leid tust.«
›Aha. Toll. Die Krankenschwester hatte wieder Mitleid mit ihm.‹
Allerdings, er mit sich selbst auch, denn ihre Aussagen waren ziemlich sicher wahr und trafen den Nagel auf den Kopf. Niedergeschlagen ließ er sich hängen und starrte stumm seine Decke an.
»Jetzt trotz nicht rum wie ein kleines Kind. Ich hab‘s ja nicht böse gemeint. Aber wenn ich nicht ehrlich zu dir bin – wer dann?
Ich will dir ja nur helfen..«
»Wie willst du das anstellen?« Udo klang skeptisch.
»Schätzchen.« Sie küsste ihn. »Mir ist immer noch etwas eingefallen.«
Sie stand auf, zupfte ihren Rock zurecht und ging abermals in Richtung des Waschbeckens. Diesmal allerdings nicht um ihre Hände zu reinigen, die waren ja noch sauber. Mit einem letzten Blick in den Spiegel überprüfte sie nochmal kurz, ob alles wieder am rechten Ort war. Auch wenn man sich nicht an Konventionen hielt, musste man ja dennoch nicht sofort offenkundig untermauern, dass man es nicht tat.
Sie hauchte ihm einen letzten Kuss zu und verließ das Zimmer. Zurück blieb ein etwas ratloser Udo Weikert, der im Moment nicht so recht wusste, was er mit diesem Potpourri an Emotionen und Gefühlswallungen anstellen sollte. Auf der einen Seite war er im Moment ziemlich fertig, denn sie hatte ja unbestritten recht.
Der Spiegel, den Bianca ihm dermaßen schonungslos vorgehalten hatte, war schuld daran. Auf der anderen Seite war er überglücklich, sie gefunden zu haben. Sie war eine tolle Frau. Eine Frau, wie er sie sich in den tollsten Träumen nicht vorgestellt hatte. Dann aber wiederum plagten ihn die Gedanken an die Firma. Was war da im Gange? Was wollte man ihm in die Schuhe schieben? Er hatte wirklich nichts Unlauteres gemacht und dennoch war er zum Rapport bestellt worden. Steckten da die Dahlke oder Leitner dahinter? Wenn der Verdacht richtig war – welches Motiv hatten sie?
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