Tablettenfee
schluchz –, Udo?«
Der Fleck war mittlerweile riesengroß.
»Dass ich dich furchtbar lieb habe, mein Schnuckel«, log Udo.
»Ich dich auch.« Mit diesen Worten stemmte sie sich in die Höhe und gab Udo einen dicken Schmatz auf den Mund. Gleich darauf wischte Bianca sich die Tränen aus dem Gesicht und nahm mit Daumen und Zeigefinger den Kaugummi aus dem Mund. Diesen drapierte sie auf den Rand des Trinkglases von Udo, welches auf seinem Nachtkästchen stand. Vermutlich bestand noch die Möglichkeit diesen nach beabsichtigter Handlung wieder weiterzukauen. Jetzt aber schien sie den Mund frei haben zu wollen. Udo wurde warm in der Leistengegend. Jedoch zu früh. Denn es wurde kein ›Gruß zum Abend‹, wie Udo sich als Schlussfolgerung der Handlung erhofft hatte. Stattdessen fuhr Bianca in die Tasche ihrer Hose und holte eine kleine Pillenschachtel hervor. Als sie diese vorsichtig öffnete, konnte Udo den Inhalt sehen. Lauter verschiedenfärbige Medikamentenkapseln in vielerlei bunten Farben. Er sah zwei gelb-braune, zwei blau-rote und unzählige grün-violette Kapseln.
Eine dieser unzähligen grün-violetten nahm Bianca und schluckte sie mit einem lauten ›Glmmpf!‹ hinunter.
»Bist du krank?«
»Warum?«
»Na, weil du Medizin brauchst.«
»Ach so.« Bianca lachte.
»Nein, das sind nur meine kleinen Helferlein ...«
Drogen? Udo hielt den Atem an. Unkonventionell, okay – aber mit einem Junkie wollte er nichts zu schaffen haben.
»Das sind im Großen und Ganzen nur Vitamine. Keine wirklichen Medikamente. In die, die ich eben genommen habe, habe ich Bachblüten-Notfalltropfen in pulverisierter Form und jede Menge Vitamine reingetan.«
»Wie? DU reingetan?«
Bianca strahlte. »Na, die mach ich selber. Die Hüllen krieg ich von einer Freundin von mir, die ist Pharmareferentin und das restliche Zeugs kannst eh überall kaufen. Was dann noch brauchst ist ein guter Mörser und viel Langeweile in ein paar Nachtschichten.«
Bianca klappte noch mal die Dose auf. Sie hielt Udo eine gelb-braune hin. »Hier nimm!«
»Danke, ich brauche keine Notfalltropfen. Ich fühle zwar mit dir, aber: Nein danke.«
»Blödsinn. Das sind Kopfschmerzmittel und Vitamine.«
»Vitamine sind wohl überall drin?« Udo nahm die Kapsel an sich und versuchte sie auch einfach so runterzuschlucken.
»Jub. Überall Vitamine. Sind gut. Hat man nie genug.« Das war die knappe Antwort von Bianca. Sie schüttelte noch kurz die Dose und sagte: »Meine kleinen Helferlein in Notfällen.«
Udo kämpfte mit der Kapsel. Was bei Bianca eben noch so leicht ausgesehen hatte, erwies sich als ausgesprochen schwieriges Unterfangen. Erst klebte die Kapsel am Gaumen fest. Nachdem er sie von da mit der Zunge abgelöst hatte, sammelte er ein wenig Speichel, um den Rutsch der Kapsel durch die Speiseröhre zu erleichtern. Definitiv zu wenig Speichel, denn die Kapsel beendete die Rutschpartie noch vor der Startphase. Sie blieb widerspenstig an der Rachenschleimhaut hängen. Der Kehlkopf unter ihr schluckte umsonst. Wie ein Krake am Ende eines Meeresstrudels, der vergebens auf Opfer hofft. Udo stand auf, ging zum Waschbecken und trank einen Schluck Wasser, um sich zu erlösen und die Kapsel nach unten zu spülen. Bianca, die Udos Unterfangen mit leicht spöttischem Blick beobachtet hatte, ergänzte:
»Am Anfang tut man sich schwer ohne Wasser. Ist nur Gewohnheit.«
»… sagte die Tablettenfee.«
»Hihi, Tablettenfee klingt gut.« Mit einem ›KNACK!‹ wurde die Dose wieder verschlossen und in die Hosentasche zurückbugsiert.
Jetzt fiel Udo der Grund für die Bekanntschaft mit Biancas Tablettendose wieder ein. Er setzte sich neben sie, legte wieder seinen Arm um seine Tablettenfee und fragte nach.
»Was war nun? Was ist geschehen? Warum bist du so aufgelöst?«
Bianca hatte sich mittlerweile wieder voll gefangen.
Udo war nur nicht klar, ob es die Bachblüten-Vitamin-Self-made-Kombi gewesen war oder ob Bianca so schnell umschalten konnte. Er entschied sich für eine Kombination aus beidem.
»Na, da ist dieser Doktor Berghammer.«
»Kommt aber nicht aus Tölz und heißt Benno – oder?« ›Muhaha.‹
Udo lachte innerlich. So schlagfertig. Spitzenwitz. ›Muhaha.‹
Bianca verzog keine Miene. »Warum?«
Anscheinend guckte sie wenig Fernsehen. Der ›Bulle von Tölz‹ war ihr also kein Begriff. Kam wohl doch nicht so an.
»Ach, nur so.«
»Okay. Also der ist immer schon so von oben herab und ist aber gleichzeitig auch nicht der Hellste. Auch
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