Tablettenfee
Süße. Ich hab kein Auto.«
»Ohh, ach so. Na denn – kann ich verstehen, ich habe auch keines. Ein Hoch auf die öffentlichen Verkehrsmittel.«
Gemeinsam schritten sie in Richtung Haltestelle des Omnibusses.
»Ich hätte gesagt, wir fahren erst zu dir, dann weiß ich, wo das genau ist. Und dann fahr ich mit den Öffis zu mir ins Schwesternheim, meine Sachen holen. Was sagst du zu dem Vorschlag? Weil dann weiß ich auch wo ich hin muss.«
Was hätte Udo nun schon sagen sollen? Nach der Szene von eben wollte er im Moment sicher nicht widersprechen.
»Super Idee.«
Als die beiden wenig später über die Stiege zu Udos Wohnung hoch- schritten, bekam er ein absolut komisches Gefühl in der Bauchgegend. Auf der einen Seite war es ein Gefühl von Schmetterlingen und auf der anderen Seite ein Gefühl von Kanonenkugeln. Ganz sicher war er sich noch nicht, ob das Experiment, auf das er sich hier einließ, wirklich das war, was er wollte. Killerschmetterlinge. Udo war sich sicher, dass sein Gefühl am ehesten damit beschrieben werden konnte.
Auf dem Fußabstreifer lag ein Stoß von Zeitungen und in der Tür klemmte ein Zettel. ›Herr Weikert? Alles in Ordnung? Ich mache mir Sorgen, melden Sie sich mal.‹ Unterschrieben war der Wisch, der wohl die Rückseite eines Tischkalenders war, mit ›Hilde Ettmann‹.
Aha, man sorgte sich um ihn. Auch wenn es nur die Ettmann war – immerhin. Moment! ›Hilde‹. Na da schau her, damit war auch dieses Rätsel gelöst. Hilde und Hansi – passt doch.
Er steckte den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür. Irgendwie machte er sich Sorgen, was Bianca wohl sagen würde, wenn sie nun gleich eintreten und sein kleines Wohnloch begutachten würde.
»Ey – supi«, waren ihre ersten Worte und Udo war sich sicher, dass dies kein Ausdruck tiefsten Erschreckens war. ›PENG!‹
Die Latten krachten, als Bianca sich mit Anlauf auf seine Couch warf.
»Hier gefällt‘s mir. Voll knuffig deine Wohnung. Aufgeräumt gehört mal, aber sonst echt knuffig.«
Aha, ›knuffig‹. Das Wort gefiel Udo nicht. Was war eine ›knuffige‹ Wohnung? Gut nur, dass er nicht ›knuffig‹ war.
Bianca war wieder aufgestanden und schlenderte durch Udos Wohnung.
»Uii, du hast eh alles. Wohnzimmer, Küche, Bad, Schlafzimmer. Was willst du mehr?«
»Wie hast du bisher gewohnt?« Udo war ein wenig erstaunt.
»Naja, sagte ich ja, Schwesternheim. Das heißt ein Zimmer mit Nasszelle und Gemeinschaftsküche am Gang.«
»Na dann – mi casa es su casa.«
Bianca sah ihn mit großen Augen an. »Hä? Was is …?«
»Das heißt: Mein Heim ist dein Heim. Fühle dich wie zu Hause.«
Der dicke Kuss, der nun kam, ließ Udo vermuten, dass Bianca glücklich war.
»So, Schatzi. Ich kenn mich aus, ich weiß wohin. Dann mache ich mich mal auf den Weg und bringe meine Sachen. Am besten gleich alles, weil raus muss ich dort ja eh.«
»Deine ganzen Sachen? Kannst du das alles tragen?«
»Naja, mit deinem Auto werden wir wohl eher nicht fahren.«
»Nein, eher nicht.« Udo wurde rot. Musste sie ihn als den Schlaffi ohne Auto hinstellen?
»Aber meine Zimmernachbarin Nicole, die schuldet mir noch was. Wenn die da ist, werde ich sie bitten mich hierher zu fahren.«
»Dir schulden ziemlich viele Leute etwas.«
»Das stimmt.« Biancas Antwort war kurz und lapidar.
Udo dachte daran, dass wenn sie ihm wirklich helfen würde, sein Leben besser auf die Reihe zu kriegen, er auch in ihrer Schuld stehen würde. Aber wenn sie dies auf die Art und Weise erledigen wollte, wie er es heute bei Klothilde erlebt hatte, so überlegte er, ob er denn nicht lieber darauf verzichten wollte. Jetzt darauf ansprechen? – Nein, lieber nicht.
»Also dann, bis später.«
Noch einen Kuss und dann war Bianca auch schon vor der Tür. Udo öffnete sein letztes Bier, setzte sich auf die Couch, sah beim Fenster hinaus und ließ die Ereignisse der letzten Tage wieder mal Revue passieren. In Gedanken fragte er sich, wie er sein Leben wohl vor jenem Samstag bewertet hätte. Noch nie hatte er so viel über sein Leben und Vorfälle darin nachgedacht oder sich damit auseinandergesetzt.
Knapp zwei Stunden später läutete es an der Tür.
Es war die Glocke von der Eingangstür unten. Udo ging zu seiner Tür und drückte den Knopf der Gegensprechanlage.
»Ja?«
»Hasi. Wir sind es. Deine zwei Mäuse. Hihi.«
›BRRRRR!‹
Udo drückte den Knopf neben der Haustür und die Tür unten öffnete sich. Er schlurfte in das Stiegenhaus und blickt über
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