Tabu: Roman (German Edition)
grauem Stoppelbart vor dem Haus sitzen. Er wollte ihm zuwinken, als ein Hund ihn ansprang. Biegler konnte nicht ausweichen. Er stürzte nach hinten, die Bretter des Lattenzauns fingen ihn auf, aber die Spitzen bohrten sich in seinen Rücken.
Der Mann mit den Pockennarben brüllte: »Aus, Lauser.«
Der Hund ließ von Biegler ab, schaute ihn an und wedelte mit dem Schwanz. Der Mann kam näher. Biegler ordnete seine Kleidung.
»Brav, Lauser, brav«, sagte der Mann. Der Hund legte sich auf den Boden.
»Ich finde Lauser nicht brav«, sagte Biegler. Sein Rücken tat weh.
»Er mag Sie«, sagte der Mann, »normalerweise beißt er sofort.« Der Mann schien ein Kompliment für Lauser zu erwarten.
Sofia beugte sich zu dem Hund und streichelte ihn. »Was ist das für eine Rasse?«, fragte sie. »Er ist hübsch.«
»Hübsch? Sie finden ihn hübsch? Er ist ein Monster«, sagte Biegler.
»Berner Sennhund«, sagte der Mann. »Der beste Hund für die Berge.«
»Wir suchen die Wirtin«, sagte Biegler. Er hatte immer noch Hundehaare im Gesicht.
»Sie ist in der Wirtschaft.«
»Wir haben geklingelt«, sagte Sofia.
»Die Klingel ist kaputt«, sagte der Mann. »Und wer sind Sie?«
»Biegler, Rechtsanwalt, Berlin. Und ich habe eine Hundehaarallergie.«
»Ja und?«, sagte der Mann. Er schaute Biegler offen an und grinste. Biegler grinste zurück. Eine Zeit lang standen sie sich so gegenüber. Endlich gab der Mann auf: »Warten Sie.« Er ging durch die Hintertür in die Wirtschaft. Die Füße hob er kaum beim Gehen.
Sofia half Biegler, die Haare von seinen Sachen zu entfernen. Der Hund lehnte sich gegen Bieglers Beine, er wedelte mit dem Schwanz. »Er sieht mich die ganze Zeit an«, sagte Biegler.
»Er mag Sie eben«, sagte Sofia.
»Er hat zu viele Haare«, sagte er.
Nach ein paar Minuten kam der Mann mit den Pockennarben wieder aus dem Haus und winkte sie herein. Sie gingen durch die Küche in die Gaststube. Die Tische waren aus heller Eiche, die Wände holzgetäfelt. Es roch nach frischem Brot und Bohnerwachs. Eine Frau kam auf sie zu, sie war Anfang vierzig, hellblaue Augen.
»Wer sind Sie?«, fragte sie.
»Biegler, ich bin Anwalt«, sagte Biegler.
»Ja?«
»Wir sind hier wegen Sebastian von Eschburg.«
Die Frau drehte sich um, sah zu dem Mann, der noch an der Tür stand, und hob das Kinn. Er schlurfte aus der Gaststube. Sie wartete, bis er verschwunden war.
»Setzen Sie sich bitte.« Sie zeigte auf einen Tisch. Sie selbst blieb stehen.
»War schon jemand von der Polizei da?«, fragte Biegler.
»Wieso von der Polizei?«, fragte die Frau.
»Oder der Presse?«
»Nein, auch nicht. Um Himmels willen, worum geht es denn? Ich habe von Sebastians Verhaftung gelesen, aber was hat das mit mir zu tun?«
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte Biegler. »Könnte ich vielleicht einen Schluck Wasser haben?«
»Ja, natürlich.« Die Frau sah Sofia an. »Möchten Sie auch etwas trinken?«
»Auch ein Wasser bitte«, sagte Sofia.
Die Frau ging hinter die Theke und kam mit einer Flasche und drei Gläsern zurück. Sie schenkte im Stehen ein und setzte sich dann.
»Also, was ist passiert?«, sagte sie.
»Es tut mir leid, aber ich muss das fragen«, sagte Biegler. »Sebastians Vater ist auch der Vater Ihrer Tochter, oder?« Er beobachtete sie. Ihre Oberlippe zitterte ein wenig, das war alles.
»Woher wissen Sie das?«, fragte sie.
Biegler wartete. Er stellte sich ihr Leben in diesem Dorf vor. Alleinerziehende Mutter zu sein war hier sicher nicht leicht. Ein Holzkreuz hing neben dem Ofen. Die Götter haben wir wegen der Einsamkeit erfunden, dachte er, aber genutzt hat das auch nichts.
»Ja, es stimmt«, sagte die Frau nach einer langen Pause. Dann begann sie zu erzählen. Es war ein Dammbruch. Sie erzählte, wie sie Sebastians Vater kennengelernt hatte. Über zwanzig Jahre sei das jetzt her, damals sei sie 19 gewesen. Ihr Vater, der Gastwirt im Dorf, habe sich einen neuen Wagen gekauft, ein Cabriolet. Sebastians Vater habe sich den Wagen geliehen und sie sei mitgefahren. Er habe das Dach geöffnet, obwohl es schon Herbst gewesen sei.
»Er ist wahnsinnig schnell gefahren«, sagte sie, »er hat gelacht und ist sehr albern gewesen. Er hatte ganz schmale Hände und weiche Haare, fast wie ein Mädchen. Wir sind zum See gefahren. Wir haben Radio gehört und auf das Wasser gesehen.«
»Und dann haben Sie nicht mehr auf das Wasser gesehen«, sagte Biegler.
Sie nickte. Sie sei sehr verliebt in ihn gewesen, sagte sie. Nach vier Jahren
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