Tabu: Roman (German Edition)
Natürlich trennte sich seine Freundin irgendwann von ihm. Aber sie war ein nettes Mädchen. Sie besuchte ihn jede Woche, kaufte für ihn ein und sorgte dafür, dass er nicht verwahrloste. Dann machte sie einen Fehler. Sie glaubte, er müsse das gemeinsame Kind einmal sehen. Er erwürgte sie. Danach wusch er ihre Haare, feilte ihre Finger- und Fußnägel und putzte ihre Zähne. Er schnitt mit einem Küchenmesser vierunddreißigmal in ihre Haut. In die Öffnungen steckte er Zettel. Auf alle schrieb er das gleiche Wort: Kronkorken . Der Mann wurde im Treppenhaus festgenommen, das Baby saß noch neben seiner Mutter in der Küche und schrie. Die Nachbarn hatten die Polizei gerufen, weil er Blut an den Händen hatte. Er erinnerte sich an nichts. Nur daran, dass er das Geländer angefasst hatte. Das war das Schlimmste für ihn: das Geländer. Er sagte, es sei so schmutzig gewesen.«
»Was hat dieses Kronkorken bedeutet?«, fragte Sofia.
»Keine Ahnung«, sagte Biegler.
Sofia starrte ihn an und schüttelte wieder den Kopf.
Biegler zuckte mit den Schultern und erzählte, was er von Eschburg erfahren hatte: Seine Halbschwester stamme aus Österreich, aus dem Dorf, in dem Eschburgs Vater seine Jagd hatte.
»Was werden Sie jetzt tun?«, fragte Sofia.
»Was soll ich schon machen? Ich muss natürlich nach Österreich, wieder in diese absurden Berge, es bleibt mir nichts anderes übrig. Offenbar bin ich jetzt so etwas wie Eschburgs Laufbursche. Keine besonders lustige Rolle, wenn Sie mich fragen«, sagte Biegler.
»Warum hat Sebastian Ihnen nicht gesagt, wo seine Schwester jetzt ist?«
»Er meinte, ich würde es verstehen, wenn ich dort bin. Seltsame Antwort, finden Sie nicht?«
»Sie passt zu ihm«, sagte Sofia.
»Ich kann Überraschungen nicht leiden. Elly hat einmal an meinem Geburtstag …«
»… hat er gesagt, ob sie noch lebt?«, fragte Sofia.
»Nein.« Sofia gefiel ihm, sie ist ein freundlicher Mensch, dachte er. Er wollte etwas Versöhnliches sagen: »Aber er hat auch nicht gesagt, dass er sie umgebracht hat.« Es klang nicht so, wie er gehofft hatte.
»Kann ich mitkommen?«, fragte sie. »Ich will hier nicht warten, das ertrage ich nicht.«
Biegler überlegte, ob er sie anstrengend finden würde. »Nur wenn Sie versprechen, mir nicht dauernd zu erklären, warum er nicht der Mörder ist.«
»Sebastian hat es trotzdem nicht getan«, sagte Sofia. »Er kann das nicht. Ich kenne ihn.«
Biegler zuckte mit den Schultern und bestellte die Rechnung. Sie verabschiedeten sich auf der Straße. Er ging ein paar Schritte, dann drehte er sich noch einmal zu Sofia um und rief ihr nach.
»Sagen Sie, kennen Sie zufällig einen guten Baumsachverständigen?«
»Was?«, fragte Sofia.
»Ach, vergessen Sie’s.«
Er stieg in ein Taxi und fuhr nach Hause.
Am Nachmittag kam Elly aus ihrer Praxis. Biegler stand in der offenen Garage. Er hatte sein Jackett ausgezogen. Die Ärmel seines Hemdes waren hochgekrempelt.
»Was tust du da?«, fragte Elly.
»Wieso haben wir eigentlich so viele Zollstöcke?«, fragte Biegler. Er hatte Schweißtropfen auf der Stirn. »Neun Zollstöcke, drei Hämmer und keine einzige Zange. Das ist doch merkwürdig.«
Er hielt zwei Kartons in den Händen.
»So schlimm?«, fragte sie.
Er hatte einen Ölfleck auf seiner Weste. Elly schob eine Holzkiste mit alten Lappen und Dosen zur Seite.
»Warte«, sagte er. Er ließ die Kartons fallen, holte aus seiner Hosentasche ein großes weißes Taschentuch und legte es auf die Bank. Sie setzte sich. Er stand vor ihr. Er kam sich vor wie ein Junge.
»Also, was ist los mit dir?«, fragte sie. »Immer wenn du die Garage aufräumst, hast du etwas.«
»Ich verstehe ihn einfach nicht«, sagte Biegler.
»Wen?«
»Eschburg, diesen Künstler. Ich verstehe nicht, was mit ihm los ist.«
Elly nahm eine Dose mit eingetrocknetem Lack aus der Holzkiste. »Weißt du noch, wie du für unseren Sohn die Seifenkiste gebaut hast?«, fragte sie.
»Es war sehr kompliziert, ich erinnere mich«, sagte Biegler.
»Auf dem Paket stand, Kinder ab zwölf Jahren könnten sie zusammenbauen«, sagte Elly.
»Ich bin mir immer noch sicher, dass das ein Druckfehler war«, sagte Biegler. »Es war keine besonders gute Seifenkiste.« Er setzte sich neben sie.
»Aber sie hatte eine schöne Farbe«, sagte Elly.
Er sah sie an. Auch heute, 28 Jahre später, verstand er noch nicht, warum sie sich für ihn entschieden hatte. Seine Sachen waren nie ganz sauber. Er kam sich plump neben ihr
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