Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tabu: Roman (German Edition)

Tabu: Roman (German Edition)

Titel: Tabu: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferdinand von Schirach
Vom Netzwerk:
sei sie schwanger geworden. Sie habe das nicht geplant, es sei einfach passiert. Sie hätten sich ja immer nur gesehen, wenn er hier auf der Jagd war. Er habe sie nicht verlieren wollen, aber er habe auch seine Familie nicht verlassen können.
    »Wie Männer so sind«, sagte sie. »Als mein Bauch größer wurde und alle es gesehen haben, hat er nur noch davon geredet, er hat nicht mehr ein noch aus gewusst. Er hat geweint und hin und her geredet und dann wieder geweint. Er hat sich ganz verheddert in seinen Gedanken.«
    Dann habe er mit dem Trinken angefangen, Schnaps, hier unten in der Wirtschaft, die harten Sachen. Sie kenne Trinker, sie wisse, dass man ihnen nicht helfen könne.
    »Für mich war’s schon schlimm, aber ich glaube, für ihn war’s noch schlimmer. Mein Vater ist ganz ruhig damit gewesen, er hat gesagt, das Kind kriegen wir schon groß«, sagte sie. »Irgendwann bin ich dann nicht mehr hoch ins Jagdhaus, weil ich gedacht habe, dass es besser so ist, bevor es ihn ganz zerreißt. Vielleicht ist das falsch gewesen, manchmal denke ich das jetzt. Als meine Tochter zur Welt gekommen ist, bin ich alleine gewesen.«
    Die Frau trank ihr Glas aus. Sie hatte so plötzlich aufgehört zu sprechen, wie sie damit angefangen hatte. Ihre Oberlippe zitterte wieder. Biegler holte seine Zigarillos aus der Tasche.
    »Darf ich?«, fragte er.
    Sie schob einen Aschenbecher über den Tisch. Biegler zündete sich einen Zigarillo an. Sofia wollte etwas sagen, aber Biegler schüttelte den Kopf. Die Frau sah auf den Boden und beobachtete ihn dann beim Rauchen.
    »Dann habe ich gehört, dass er sich umgebracht hat«, sagte sie endlich. »Erst als er schon unter der Erde gewesen ist, habe ich das gehört, weil ja niemand bei ihm zu Hause von mir gewusst hat. Die Leute haben gesagt, dass er sich den Kopf weggeschossen hat. Er hat seine Tochter nie gesehen.«
    Ich muss weitermachen, dachte Biegler. »Sie haben doch dauernd das Foto Ihrer Tochter im Fernsehen gesehen. Warum haben Sie sich nicht bei der Polizei gemeldet?«
    »Was für ein Foto?«, fragte die Frau.
    Biegler zog aus der Akte das Foto, das Eschburg gemacht hatte.
    Die Frau nahm das Bild. »Ja, das habe ich gesehen. Aber wer ist das?«
    Sofia und Biegler starrten die Frau an. Sie lügt nicht, dachte Biegler. Er war wütend auf sich selbst. Irgendetwas hatte er übersehen.
    »Ich dachte, das sei Ihre Tochter«, sagte er.
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe dieses Mädchen noch nie gesehen.« Sie sah es noch einmal an. »Der Mund sieht meiner Tochter ein bisschen ähnlich, sonst nichts.«
    Der Mund sieht ihr ähnlich, dachte Biegler, vielleicht gibt es noch eine uneheliche Tochter?
    »Sebastian wird vorgeworfen, dass er sie umgebracht hat«, sagte Sofia.
    »Nein, Sebastian könnte niemandem etwas zuleide tun«, sagte die Frau.
    »Kennen Sie ihn?«, fragte Sofia.
    »Er war ein paarmal hier. Er hat das Jagdhaus von seinem Vater bekommen. Seine Mutter wollte es verkaufen, aber er hatte es ja noch zu Lebzeiten auf seinen Sohn übertragen.«
    »War er mit Ihrer Tochter hier?«, fragte Biegler. Er hatte den Zigarillo ausgehen lassen. Das passierte ihm selten.
    Die Frau nickte. »Warten Sie einen Moment«, sagte sie und verließ den Raum. Nach zwei Minuten kam sie zurück. Sie hatte einen Karton in der Hand. Sie setzte sich an den Tisch und öffnete ihn. Sofia nahm die Papiere heraus: Es waren Bilder von Eschburgs Ausstellungen, Zeitungsausschnitte, Interviews, Kritiken zu seinen Bildern.
    »Der Karton gehört meiner Tochter«, sagte die Frau. »Sie hat schon alles über Sebastian gesammelt, bevor sie ihn das erste Mal gesehen hat. Er ist für sie das richtige Leben gewesen. Sie ist so wütend wegen ihres Vaters gewesen, obwohl sie ihn nie gesehen hat. Wie oft hat sie getobt und geschrien und alle hier verflucht. Ich kann sie verstehen. Ein Fremder kann sich ja nicht vorstellen, wie es ist, in so einem Dorf ohne Vater aufzuwachsen. Sie hat schon immer raus wollen.«
    »Und dann?«, fragte Biegler.
    »Sie hat Sebastian kurz nach ihrem 16. Geburtstag getroffen. Ich habe sie nicht davon abbringen können. Sie ist zu der Eröffnung seiner Ausstellung in Rom gefahren. Danach sind sie zweimal zusammen hier gewesen«, sagte die Frau. »Sie haben sich gut verstanden, sie sind sich auch sehr ähnlich. Bevor sie gegangen ist, hat sie gesagt, dass sie jetzt für immer ein Teil seiner Kunst sein wird.«
    »Gegangen? Meinen Sie gestorben?«, fragte Sofia. Biegler nickte.
    »Wie kommen Sie

Weitere Kostenlose Bücher