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Tabu: Thriller

Tabu: Thriller

Titel: Tabu: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Egeland
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ein schlechtes Gewissen. Eigentlich sollte sie jetzt bei ihm sein. Typisch Frau, so etwas zu denken, dachte sie. Als wäre es ihre Schuld, dass es so gekommen war. Er war schließlich nicht ihr Sohn oder Geliebter oder sonst was. Meine Güte, der Mann wurde bald pensioniert!
    Aber das half ihr auch nicht viel weiter.
    Auf dem Rückweg entdeckte sie viele Blaubeeren und aß sich satt. Ein Eichhörnchen huschte einen Baumstamm hinauf, und sie wartete mehrere Minuten reglos ab, ob es sich noch einmal blicken ließe. Direkt oberhalb der Hütte blieb sie eine Weile bei dem riesigen Felsblock stehen, den der Gletscher dort zurückgelassen hatte. »Denkstein« hatte sie ihn getauft.

Was wäre, wenn …
    Er schlief die ganze Nacht fest durch und erwachte überraschend ausgeruht. Es war ein klarer, warmer Tag. Er blieb noch eine Weile im Bett liegen und sah sich im Zimmer um, während er darauf wartete, dass sich der Durst meldete, die Selbstverachtung, das Selbstmitleid.
    Nichts.
    Er stand auf, briet sich zwei Spiegeleier zum Frühstück, setzte sich ans Fenster und wartete erneut. Auf die lähmenden Gefühle.
    Sie kamen nicht.
    Dann ging er in die Redaktion. Langsam schritt er durch die Redaktionszentrale, damit alle sehen konnten, dass er wieder bei der Arbeit und nicht mehr betrunken war. Aber keiner von ihnen hatte überhaupt bemerkt, dass er rückfällig geworden war. Warum sollten sie auch? Ihnen war ja noch nicht einmal aufgefallen, dass er die letzten Tage nicht da gewesen war.
    Ein paar der älteren Kollegen schauten von ihrer Arbeit auf und murmelten »Hallo, Gunnar«.
    Selbst das wärmte.
    Er sammelte die Oslo-Zeitungen der letzten Tage ein und nahm sie mit in sein Büro. Er hängte den Mantel auf. Stellte Band acht und neun der Enzyklopädie zurück ins Regal. Wie erwartet, waren die Meldungen überwältigend. GEFASST stand in Riesenbuchstaben auf der Titelseite des Dagbladet . Das gleiche Wort brüllte ihm von der VG entgegen. Lang lebe die Vielfalt, dachte Gunnar. Selbst die Aftenposten räumte dem Fall acht Spalten ein: Verdächtiger im Aquarius-Fall festgenommen.
    Er las die Berichte und notierte sich alle neuen Erkenntnisse. Es ging hauptsächlich um Rune Strøm. VG hatte spitzgekriegt, dass Kristin auf die Almhütte wollte, um ein Buch zu schreiben. Kanal 24 verzeichnete einen Zuschauerrekord, und der Chef der »Dagsrevyen« warf Richard Wolter Verantwortungslosigkeit vor, weil er die Festnahme live übertragen hatte. Alles beim Alten, dachte Gunnar.
    Was bedrückte ihn dann? Er konnte es nicht benennen. »Ein Bauchgefühl« hatte man früher gesagt, oder »Spürsinn«. Frauen nannten es »Intuition«.
    Was ist, wenn sie den falschen Mann gefasst haben?
     
    Nach der Mittagspause, die er allein in seinem Büro verbrachte, versuchte er, die Informationen über Rune Strøm und die Morde systematisch zu ordnen. Er kam nicht sonderlich gut voran. Er richtete eine Datei ein, die er aus Versehen löschte, nachdem er drei Stunden damit verbracht hatte, alle möglichen Details aus den Zeitungsberichten zusammenzutragen. Vor Wut trieb es ihm Tränen in die Augen. Er hasste Computer. Er hatte sich das Schreiben mit zwei Zeigefingern auf einer altmodischen Royal-Schreibmaschine beigebracht, weshalb er noch heute fest und unverdrossen auf die erheblich sensiblere Computertastatur einhämmerte. Während die Redaktion auf Computer umstellte, hatte er darauf bestanden, seine manuelle Reiseschreibmaschine zu behalten, seine treue Begleiterin auf all seinen Reisen. Aber schon nach wenigen Wochen hatten die Grünschnäbel am Layout-Tisch sich geweigert, seine Papiermanuskripte anzunehmen. Da hatte er allmählich eingesehen, dass die Entwicklung dabei war, ihn abzuhängen. Er hatte sich damals geschworen, den Übergang zum Computer mindestens so gut hinzukriegen wie die aufgeblasenen Frischlinge von der Journalisten-Hochschule. Zweimal hatte er an den intern angebotenen Computerkursen teilgenommen, aber er benahm sich noch immer wie ein Tölpel. Begriff einfach nicht, wie das mit den Dateien und dem Speichern und den E-Mails funktionierte. Und er vermisste seine Schreibmaschine. Mit den federnden Tasten. Dem Klicken. Dem lustigen Pling beim Zeilenumbruch.
    Stöhnend lehnte er sich nach hinten. Die positive Hochstimmung des Morgens war verschwunden. Er war müde, genervt, verwirrt. Und er hatte Durst. Das war das Schlimmste.
    Am späteren Nachmittag zog er seinen Mantel an und spazierte durch den Schlosspark und Homansbyn

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