Tabu: Thriller
Haut.
Er schlägt die Decke zur Seite und steht auf. Pinkelt ins Waschbecken. Er kippt das Fenster an und inhaliert die kühle, frische Morgenluft. Dann dreht er sich um und sieht sie an. Sie hat lange Beine.
Er gibt sich Mühe, keinen Lärm zu machen, als er Wasser in den Kessel laufen lässt und ihn auf die Herdplatte stellt. Einer ihrer Vorgänger hat ein halb volles Glas Pulverkaffee dagelassen. Als das Wasser kocht, gießt er zwei Becher auf. Er sieht nach, ob sie schon aufgewacht ist. Aber sie schläft noch.
Er kniet sich auf die Matratze, um die Nylonstricke zu lösen. Als ihr rechter Arm nach unten rutscht, wird sie wach. Nicht langsam wie er. Sie schlägt die Augen auf und schnappt nach Luft.
»Guten Morgen«, begrüßt er sie.
Sie antwortet nicht.
»Das wird ein schöner Tag«, sagt er und öffnet den Knoten um ihr linkes Handgelenk.
Sie rutscht zum Fußende, wobei ihr Hemd noch weiter hochrutscht, und reibt sich die Arme.
»Hast du gut geschlafen?«, fragt er.
»Nein.«
Ein Morgenmuffel, denkt er. Wie viele Mädchen. Unausstehlich.
»Ich habe uns einen Kaffee gemacht«, sagt er.
Sie setzt sich auf. Krabbelt an ihm vorbei. Der Slip über ihren Pobacken ist etwas verrutscht. Er kann den Blick nicht losreißen. Sie zieht ihre Hose und die Strümpfe an, steckt das Hemd unter den Bund und zieht den Reißverschluss hoch.
»Ich muss mal«, sagt sie gereizt.
Er weiß nicht recht, was er darauf antworten soll. »Ich dachte, wir könnten heute zum Fluss spazieren und ein bisschen filmen«, sagt er.
»Ich hab gesagt, ich muss mal!«
Oje, denkt er, ein richtiger Morgenmuffel. Da kann ich ja nur froh sein, dass ich nicht mit ihr verheiratet bin.
7 Uhr 30
Leif stand in seinem Kiosk und blätterte das Dagbladet von gestern durch, als er plötzlich drauf kam, wer die Frau in der Sechs war.
Kristin Bye! Die Frau aus dem Fernsehen! Die den irren Frauenmörder aus Oslo hinter Gitter gebracht hat!
Er hob den Blick und schaute über den Campingplatz. Es kam nicht häufig vor, dass er Promis zu Besuch hatte. Genau genommen hatte sich noch nie ein Promi hierher verirrt. Mal abgesehen vom Bürgermeister. Seine Laune hob sich. Kristin Bye! Da war es ihm im Nachhinein ja fast peinlich, dass er ihnen hinterherspioniert hatte. Solche Promis mussten ja auch mal ungestört in die Federn hüpfen können. Das war sicher nicht anders als bei normalen Menschen.
Er trommelte mit den Fingern auf den Tresen.
Er hatte das dringende Bedürfnis, jemandem davon zu erzählen, aber es fiel ihm niemand ein, mit dem er die Neuigkeit hätte teilen können. Der Tourist-Information war das garantiert schnuppe. Und seine Kumpels waren alle auf dem Weg zur Arbeit. Wie wär’s mit der Lokalzeitung? Das wäre doch eine Spitzen-PR für Jøkulfoss’ Camping & Hytteland?
Er schaute in die Zeitung, die aufgeschlagen vor ihm auf dem Tresen lag.
Zahlten die Zeitungen in Oslo nicht tausend Kronen für einen Hinweis? Ein kurzer Artikel im Dagbladet , dass Kristin Bye in Jøkulfoss’ Camping & Hytteland abgestiegen war, wäre die Werbung schlechthin. Und bescherte ihm obendrein vielleicht noch tausend Kröten!
Eifrig blätterte er zu der Telefonnummer der Zeitungsredaktion.
7 Uhr 40
Die Zelle stank nach Urin.
Sie war kleiner, als Vang sie sich vorgestellt hatte. Er hatte den Raum so oft auf Aquarius’ Videoaufnahmen gesehen und ihn sich viel größer vorgestellt. Dabei war es nicht viel mehr als ein Verschlag.
Auf dem Boden lag eine Matratze. Eine zweite lehnte an der Wand.
In einer Ecke, auf einem Gestell, war ein Fernsehbildschirm montiert. Die Kabel führten in den Raum nebenan, in dem hinter dem durchsichtigen Spiegel der Barhocker und das Videogerät standen.
Er zerrte an der Kette, die in der Wand verankert war. Sah sich die vier Schlösser an der Tür noch einmal an.
Er zog die Tür hinter sich zu und versuchte, sich vorzustellen, was die Frauen wohl empfunden hatten, während sie auf der Matratze auf ihren Tod warteten.
Wie lange hatten sie gewusst, was ihnen bevorstand? Wahrscheinlich hatten sie alle gehofft, dass er sie verschonen würde. Dass die Polizei sie fand oder dass er weich werden und sie freilassen würde. Während sie wussten, dass er vorhatte, sie zu töten.
Immerhin, Frøydis konnten wir retten, dachte er.
Wir? Ich bitte dich, Runar! Wir?
Gunnar Borg und Oscar Lund.
Er hatte nicht auf sie hören wollen. Hatte Gunnar Borg keinen Glauben geschenkt. Hatte ihn abgefertigt wie einen übereifrigen, alten
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