Tabu: Thriller
Polizei angerufen. Ein Kumpel von ihm hätte mal im Vollrausch damit rumgeprahlt, die Welt von einem verdammten Arschficker befreit zu haben. Genauso hätte er es gesagt. Er habe das damals als das Gelaber eines Besoffenen aufgefasst. Aber ein paar bisher unbekannte Details aus dem Fernsehbericht über den Mord – ein Wort, das mit Blut auf den Spiegel geschrieben worden war, und die Stellung des Opfers – stimmten ziemlich genau mit dem überein, was sein Kumpel damals erzählt hätte. Darum wollte er der Polizei sicherheitshalber mal Bescheid geben.
Es war nicht schwierig gewesen, den Verdächtigen zu finden. Er befand sich nur wenige hundert Meter vom Polizeipräsidium entfernt. In einer Zelle des Osloer Bezirksgefängnisses.
Sie hatten nicht allzu große Hoffnung gehabt, aber da sie sicher waren, dass der Journalist sehr genau verfolgen würde, was sie in der Sache unternahmen, hatten sie einen Ermittler auf den Fall angesetzt. Nach nur einem Tag waren sie überzeugt, den Täter gefunden zu haben.
»Das Putzige ist nur«, bluffte Vang und senkte die Stimme, wie immer, wenn er log, »dass ein Zeuge gesehen hat, dass Sie um zwei Uhr nachts aus dem Hauseingang gekommen sind.«
Die Lüge war leicht durchschaubar. Aber die Uhrzeit stimmte in etwa mit dem Todeszeitpunkt überein. Die Qualle wand sich.
»Scheiße, ich will einen Anwalt!«
Gutes Zeichen.
»Selbstverständlich«, antwortete Vang.
»Haben Sie vielleicht jemand anderen in dem gleichen Hausflur besucht?«, schlug Anne-Beth Carlsen vor. Der singende, freundliche Klang ihrer Stimme flößte Vertrauen ein, dachte Vang, vielleicht nenne ich sie ja deshalb die Pfadfinderin.
Die Qualle schnupperte an dem Köder. Als er antwortete, sah er Vang an und nicht die Polizistin. »Bei einer Frau, klar!«
Vang dachte: Er hat tatsächlich angebissen! Dass er so dumm ist. So sturzdumm.
»Das erklärt natürlich einiges«, sagte Vang und lachte grob.
Die Qualle grinste und starrte auf den Boden.
»Eine Frau!«, fuhr Vang fort. »Kein Wunder, dass Sie das verschweigen wollten, als die Leiche entdeckt wurde.«
Die Qualle grinste noch breiter.
»War sie vielleicht verheiratet?«, schlug Anne-Beth Carlsen vor.
Herdis . Der Gedanke an sie traf ihn wie ein eiskalter Polarwind.
Die Qualle sackte noch mehr auf dem wackligen Stahlrohrstuhl zusammen und starrte auf einen Punkt zwischen Vang und Anne-Beth Carlsen. »Verheiratet, klar! Du rufst wohl kaum die Bullen an, wenn du grad’ne verheiratete Frau nagelst, oder?«
Zeit für mich .
Die Qualle lachte krächzend.
Vang wechselte einen Blick mit der jungen Polizistin. Die Qualle hatte den Köder geschluckt und baumelte fett und zufrieden am Haken. Jetzt musste die Schnur nur noch eingeholt werden.
In dem Augenblick klingelte das Telefon.
Weder Vang noch Carlsen machten Anstalten, den Hörer abzunehmen.
»Für mich, oder was?«, fragte die Qualle. Er kapierte noch immer nichts.
Vang streckte den Arm aus und griff nach dem Hörer.
»Vang?« Eine raue, vage bekannte Stimme. Es gelang Vang nicht, ihr ein Gesicht zuzuordnen.
»Ja!«, bellte er.
»Tut mir leid, Sie mitten in einem Verhör zu stören!«
Vang richtete sich auf. Der Polizeipräsident.
»Schon in Ordnung«, sagte Vang kurz, pflichtschuldig. Das musste wichtig sein. Das Vorzimmer fing alle Anrufe ab und hatte sicher erklärt, dass er in einem wichtigen Verhör saß.
»Es gibt da einen neuen Fall…«, sagte der Präsident.
Vang sagte nichts.
»Ich möchte, dass Sie sich persönlich darum kümmern.«
»Ja?«
»Eine ziemlich heikle Sache.«
»Verstehe.«
»Eine Frau wurde entführt. Scheint es.«
»Was meinen Sie mit ›scheint es‹?«
»Der Entführer hat sie mit einer Videokamera gefilmt.«
Vang stieß einen Pfiff aus. »Und uns die Kassette geschickt?«
»Nicht ganz. Eben das ist das Problem. Darum möchte ich den Fall Ihnen übergeben. Er hat sie an Kanal 24 geschickt.«
3
In Pressekreisen war Polizeidirektor Runar Vang, was Gewaltverbrechen und Betrugsdelikte betraf, sozusagen ein Promi. Bei größeren Kriminalfällen wurde immer er vor dem Polizeipräsidium in Grønland interviewt: Vang in Anzugjacke, blauem Hemd, Krawatte und mit schütterem, unzähmbarem Haar, das ihm ständig in die Stirn fiel. Einige Kriminaljournalisten behaupteten, er sähe die Presse als eigenes Dezernat für Gewaltverbrechen und Betrugsdelikte an. So hatte er sich mit den Jahren den unverdienten Ruf eingehandelt, mediengeil zu sein. In Wahrheit war er nur
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